Die Reproduktionsmedizin entwickelt immer neue Methoden, Paaren zu Elternschaft zu verhelfen. Kritiker fragen sich, wohin diese Entwicklung führt.

Stuttgart - Als am 16. April 1982 in der Erlanger Uniklinik Oliver geboren wurde, begann auch in Deutschland die Ära der Schwangerschaften aus der Retorte. Mittlerweile hat die künstliche Befruchtung, die Zusammenführung einer Ei- und einer Samenzelle außerhalb des Mutterleibs, den Weg aus der Uniklinik in die Arztpraxis geschafft. Frei von Anfechtungen ist sie deswegen aber auch 30 Jahre nach der Geburt des ersten deutschen Retortenbabys noch nicht.

 

Denn der Erlanger Erfolg war nur der erste Schritt in einer Entwicklung, die immer wieder zu heftigen gesellschaftlichen und politischen Diskussionen führte. Das offenbart zum Beispiel der Streit über die Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der es darum geht, befruchtete Eizellen auf ihre genetische Beschaffenheit zu untersuchen. Reproduktionsmediziner forderten lange eine Gesetzesänderung, um den „besten“ Embryo in der Petrischale auswählen und der Mutter einpflanzen zu dürfen. Dadurch sollten die Erfolgsaussichten maximiert und die Risiken für Mutter und Kind minimiert werden. Bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag am 7. Juli 2011 verliefen die Fronten quer durch die Parteien. Die Abgeordneten des Bundestags votierten schließlich mehrheitlich dafür, die PID in engen Grenzen zuzulassen. Doch auch in der Ärzteschaft gab und gibt es Kritik: Bundesärztekammerpräsident Frank Montgomery bekannte in der Zeitung „Das Parlament“, dass er persönlich den Gesetzentwurf für ein PID-Verbot unterstützt hätte, denn in der PID sei „immer auch ein Ansatz zur Selektion menschlichen Lebens angelegt“. Allerdings sei „der Damm an anderer Stelle schon gebrochen“. Die Pränataldiagnostik sei längst Standard und führe zur Abtreibung lebensfähiger Föten. Dabei hatte die vorgeburtliche Diagnostik sich eigentlich das Wohl des ungeborenen Kindes auf die Fahnen geschrieben. Das diagnostische Dilemma: Was macht man, wenn man Schäden am Fötus entdeckt, sie aber nicht behandeln kann? „Wir leben in einer Welt der Salami-Ethik, wo Stückchen für Stückchen abgeschnitten wird“, kritisiert Montgomery.

Auch die Ärzteschaft ist gespalten

Vor „eugenischen Tendenzen“ warnt der Offenbacher Palliativmediziner Stephan Sahm. Die gezielte Verbesserung der Nachkommen durch genetische Manipulation an Embryonen werde bald zur Pflicht. Und auch die Geschlechtsselektion zum Zwecke des „family balancing“, des ausgeglichenen Geschlechterverhältnisses zwischen Geschwistern, werde kommen. Erst kürzlich musste die britische Regierung alle Abtreibungskliniken des Landes ermahnen, keine Geschlechtsselektionen vorzunehmen. In etlichen Fällen war es auf Wunsch der Eltern zu Abtreibungen von weiblichen Föten gekommen. Recherchen der Tageszeitung „Telegraph“ hatten diese Praxis in Großbritannien, das über ein sehr liberales Abtreibungsrecht verfügt, ans Licht gebracht. Auch in Kanada sah sich im Januar der Herausgeber einer einflussreichen Ärztezeitschrift genötigt, seine Kollegen zu ermahnen, nicht auf die Bitten asiatischer Einwanderer einzugehen und Abtreibungen aus Geschlechtsgründen abzulehnen. Das sei unethisch.

Auf dem Weg zum optimierten Kind?

Tatsächlich ist es wohl weniger die künstliche Befruchtung und die – im besten Fall – daraus resultierende Geburt eines Kindes, die Kritikern beunruhigt. Es sind die Nebenschauplätze. So zählen Geschlechtsauswahl und Gesundheitsauslese – beides wird legal oder illegal praktiziert – zu Vorstufen des optimierten Babys. Noch in diesem Quartal will die Konstanzer Firma Lifecodexx einen Test auf den Markt bringen, der zu 100 Prozent im Blut der Mutter nachweisen soll, ob das Ungeborene das Down-Syndrom hat oder nicht. Kritiker sprechen von Rasterfahndung, denn bei nachgewiesener Trisomie 21 wählt die Mehrzahl der Schwangeren einen Abbruch. Ungern gesprochen werde auch über die finanziellen Interessen auf dem Geschäftsfeld der Reproduktionsmedizin. Das „einträgliche Geschäft“ der Branche ist dem Osnabrücker Sozialwissenschaftler Manfred Spieker ein Dorn im Auge. Dabei sei die Erfolgsrate der künstlichen Befruchtung gering. Nur jeder fünfte bis sechste Versuch glücke. Demgegenüber stehe die „äußerst belastende Prozedur für die kinderlosen Paare“. Ungewollte Kinderlosigkeit sei zudem keine Krankheit, sondern ein Leid, dem man mit psychologischer Paartherapie erfolgreicher helfen könne. Die Chance, dann doch noch ein Kind zu bekommen, sei nach einer solchen Therapie größer als die Erfolgsrate nach einer künstlicher Befruchtung.

Später Kinderwunsch und die Folgen

Vor allem aber müsse die Politik Anreize schaffen, das Kinderkriegen in früheren Lebensjahren attraktiv zu machen, forderte der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof jüngst in einem Zeitungsbeitrag. Eine biologische Tatsache nämlich ist, dass für eine Frau mit Mitte 20 die Chance, schwanger zu werden, größer ist als ein Lebensjahrzehnt später. Frühe Elternschaft macht den Einsatz reproduktionsmedizinischer Maßnahmen in der Regel überflüssig. Das Lebenskonzept vieler Paare sieht das aber nicht vor. Der verstärkte Einsatz der Reproduktionsmedizin ist also auch ein hausgemachtes Problem.