120 Tiere waren für den Handel angekündigt, gekommen sind viel weniger. Gehandelt wurde auf dem Pferdemarkt trotzdem.

Leonberg - Und wo sind jetzt die Pferde? Gerade mal zwei Tiere stehen auf dem Marktplatz, als die ersten Besucher morgens um halb acht kommen. Zur frühen Morgenstunde, wie sie es seit eh und je gewohnt sind. Gewöhnlich ist an diesem Dienstag aber wenig. Hoch droben, im ehrwürdig getäfelten Sitzungssaal des Alten Rathauses, sitzen die Preisrichter bei ihrer Vorbesprechung, und sind ebenfalls ratlos.

 

„Nein, dass der Marktplatz so leer gefegt ist, habe ich noch nie erlebt“, sagt Helmut Kayser. Er muss es wissen, der Gäufeldener kommt immerhin schon seit 42 Jahren als Preisrichter nach Leonberg. „Das ist schon schade, schließlich hat der Pferdemarkt Tradition.“ Das ist wahr. Genau 336 Jahre ist es her, als der württembergische Herzog Friedrich Karl den Leonbergern erlaubte, einen zweiten Jahrmarkt abzuhalten, „und zwar einen Pferdt- und Vichmarkt“.

Pferdemärkte gibt es landauf, landab einige, dass aber immer noch die großen und kleinen Rösser gehandelt werden, das ist eine Leonberger Besonderheit. Mit Kaufabsicht hat sich Andreas Ritz schon am frühen Morgen in Sankt Leon-Rot (Rhein-Neckar-Kreis) aufgemacht und ist die einhundert Kilometer nach Leonberg gefahren. „Ich kauf’ hier gern ein Pferd“, sagt er und blickt sich auf dem windigen Marktplatz um.

„Na, wir wollen verkaufen, wir sind Händler

Mittlerweile sind ein paar Händler eingetroffen. Hinter wenigen Holzbeschlägen stehen ein paar Pferde. Zum Beispiel die von Gerhard Knisel, ein Händler aus Bad Wurzach (Kreis Ravensburg). „Wir haben die Krisensitzung der Leonberger Stadtverwaltung am Vortag abgewartet“, berichtet er. „Als dann das Okay kam, dass der Markt stattfindet, haben auch wir gesagt: Wir kommen.“ Seinen Tieren merkt Knisel das Wetter an, sie sind unruhiger als sonst und murren. Deshalb ist er auch nur mit halber Mannschaft hier, mit sechs und nicht mit zwölf Pferden. Warum? „Na, wir wollen verkaufen, wir sind Händler“, gibt er die schlüssige Erklärung.

Das trifft sich, denn Andreas Ritz ist immer noch auf der Suche. Ein Pony von Gerhard Knisel hat es ihm angetan, Ritz schreitet zur Tat, die beiden Männer beschließen den Kauf mit dem obligatorischen Handschlag. Nur eines wollen sie nicht verraten, nämlich, auf welchen Preis sie sich für das Pony geeinigt haben. „Ich mache immer faire Preise“, sagt Händler Knisel, und Käufer Ritz nickt und scheint nicht unzufrieden zu sein.

Drüben auf dem Marktplatz, am anderen Ende, in der Schlossstraße, ist derweil die Stimme von Frieder Breining zu hören. Der Renninger ist Preisrichter beim Pferdemarkt, und das ebenfalls schon richtig lange. Neben dem Verkaufen und Kaufen gehört das Richten zur traditionellen Trilogie des Traditionsfestes. Der Händler führt das Tier vor, geht mit ihm in der Schlossstraße im Schritt und Trab auf und ab, und Breining und seine Richterkollegen verteilen erste, zweite oder dritte Preise.

„Das ist ein Wallach“, erklärt Frieder Breining den Zuschauern, die mittlerweile nach Leonberg gefunden haben, per Megafon. „Sein Schritt sollte raumgreifend und fleißig sein, mit viel Vorwärtsdrang.“ Offenbar ist das erfüllt, die drei Richter nicken sich kurz zu, einer von ihnen hebt das gelbe Schild mit der leuchtenden 1 nach oben – der erste Preis. „Ein toller Vertreter seiner Rasse“, befindet Breining. Richterkollege Christian Ziegler notiert das Ergebnis auf einen kleinen Zettel und steckt ihn Berthold Nonnenmann zu.

Nonnenmann ist der Chef des Pforzheimer Händlerbetriebs, er steht etwas abseits, hat alles im Blick und trägt die Verantwortung. Er ist zufrieden, wie seine Mitarbeiter die Tiere vorführen. Richtig glücklich scheint er dennoch nicht. „Heute ist schon ein saumäßig schlechtes Wetter“, sagt er. Dennoch ist er mit 30 Tieren nach Leonberg gekommen. „Ich bin seit 50 Jahren hier“, gibt er zu bedenken. Ein Teil der aufwendigen Anfahrt wird den Händlern mit einem kleinen Preisgeld vergütet.

Pferde können bei dem Wetter krank werden

Ein bisschen Sorgen macht sich Berthold Nonnenmann um die Pferde. „Das Problem ist, dass sie krank werden können“, erklärt er. „Sie fahren im warmen Lastwagen hierher und stehen dann auf dem zugigen, kalten Marktplatz.“ Wirtschaftlich ist der Markt für den Händler nicht ganz unwichtig, auch wenn es eher ums Sehen und Gesehenwerden geht. „Zwei Drittel der Käufer kommen morgen zu mir nach Pforzheim zum Kaufen“, weiß Nonnenmann aus Erfahrung.

Im Stall lässt sich das Pferd einfach besser untersuchen. Auch wenn das eigentlich der Gedanke des Preisrichtens auf dem Pferdemarkt war. „Wir können es aber natürlich nur optisch beurteilen und den Gang bewerten“, erklärt Hans-Peter Philippin. Der Leonberger Tierarzt ist seit Jahrzehnten ebenfalls Preisrichter.

Aber ist es auch aus fachlicher Sicht sinnvoll, ein Pferd zu diesem Anlass zu kaufen? Philippin findet schon. „Pferde für den Freizeitbereich kann man hier durchaus finden“, sagt der 69-Jährige, der selbst seit 60 Jahren zum Pferdemarkt kommt. Und dabei auch die Veränderungen beobachtet hat. „Der Veranstaltungsrahmen ist natürlich deutlich größer geworden“, berichtet er. Der eigentliche Kern aber, das Handeln, das ist immer noch so, wie vor Jahr und Tag.

Mehr als 120 Pferde waren für den Dienstag angekündigt, gekommen sind wetterbedingt nur ein Bruchteil davon. Aus gutem Grund. „Pferde reagieren sensibel auf Stürme und Gewitter“, erklärt Helmut Kayser, einer der Preisrichter. Meist schon ein bis zwei Tage vorher merke man den Tieren das an. Daraus könne sich sogar eine Kolik entwickeln, ein Krampf im Darm – die Gewitterkolik.

Gehandelt wird in diesem Jahr, wenn auch in kleinerem Umfang. Alles andere wäre auch kaum denkbar. In seiner 336- jährigen Geschichte ist der Leonberger Pferdemarkt bislang nur achtmal ausgefallen. In sechs Fällen durfte der Markt wegen der Maul- und Klauenseuche nicht stattfinden (1911, 1915, 1938, 1939, 1941 sowie 1966), ebenso nicht in den Kriegsjahren 1942 und 1945.