Vor 40 Jahren revolutionierte die ARD mit der Rockpalast-Nacht am Samstag das Musikfernsehen. Vorher gab’s nur Schlagermucke im Studio. Nun feiert das Erste eine Zeit, als Pop und Rock noch wirklich groß und wichtig waren.

Stuttgart - Als Rock nach Revolte roch und die junge Welt voll Musik war, fiel es gar nicht leicht, Rock auch zu sehen. Im Fernsehen lief „Zum Blauen Bock“, im Kino gab es Schlager mit Roy Black. Kein MTV, kein Viva, keine Videos, geschweige denn Youtube. Als der Schnauzerträger Albrecht Metzger am 23. Juli vor 40 Jahren nach dem „Wort zum Sonntag“ den Rock ’n’ Roll mit kurzem Rolltor-O im Ersten anmoderierte, erschütterte ein Erdbeben deutsche Wohnstuben. Die „Rockpalast Nacht“ war geboren.

 

Ein paar politische, soziale und digitale Revolutionen später kann man sich kaum mehr vorstellen, was das einmal bedeutet hat: drei jugendgerechte Gigs am Stück! Zum Auftakt Stars wie Rory Gallagher und Little Feat, live aus der Grugahalle Essen. „Das waren richtige Feten“, erinnert sich Wolfgang Niedecken an eine Zeit, als man sich mit Kartoffelsalat und Pils bei Freunden verabredet hatte, um mit zig Millionen Gleichgesinnter in halb Europa eins der 17 Feste brüllender Gitarren zu gucken.

Patti Smith war hackedicht

Fast zur gleichen Zeit wie einst, Sonntag früh um 0.40 Uhr, erinnert die ARD nun in „40 Jahre Rocknacht“ an ein Format, das TV-Geschichte schrieb. Ohne Drehbuch, Konzept, Bildregie hagelte es darin bis zur letzten Ausgabe mit Niedeckens BAP im März 1986 jeweils sechs Stunden lang Anarchie auf ein popkulturell ausgehungertes Publikum herab. Schon bei der Premiere, das zeigt Oliver Schwabes Geburtstagsfilm in nostalgisch knisternden Bildern, hatte sich offenbar niemand größere Gedanken über den Ablauf gemacht.

Umbaupausen? Wurden schon mal mit 45 Minuten Soundcheck gefüllt. Moderationstexte? Bestanden aus hinreißend sinnfreiem Gelaber. Stereosound? Wurde dem Monomedium Fernsehen parallel vom Radio zugeliefert. Interviews? Auf die bezieht sich 40 Jahre später der Untertitel der Doku: „I’ve lost my mind in Essen“ war alles, was Metzgers englischer Co-Moderator Alan Bangs der hackedichten Headlinerin Patti Smith in Folge 4 entlocken konnte. Ansonsten herrschte Rock ’n’ Roll um des Rock ’n’ Rolls willen, nicht für Quote oder Programmstruktur. „Ich hab mir in die Hose geschissen“, erinnert sich Metzger im Singsang seiner schwäbischen Heimat an dieses Chaos. Der Pensionär klingt dabei, als habe er es genossen.

Als Popkultur suspekt war

Die Zeit des Palastes, der seit 1974 mit Live-Lärm im Dritten für Gegenkultur-Flair im Reihenhaus in Schnarchmannhausen gesorgt hatte, war vor allem eine, in der Musik nicht für den Massengebrauch zugerichtet, sondern im Rohzustand gezeigt wurde. Einfach so und prominent platziert. Wer Uschi Nerkes „Beat-Club“ der Sechziger jetzt im Netz aufruft, Manfred Sexauers „Musikladen“ der Siebziger oder zwischendrin Ilja Richters „Disco“, erkennt zwar schon am Begräbnistonfall der Ansager, wie suspekt dem Leitmedium jener Tage die Popkultur war. Aber auch wie lieb.

Doch als MTV Anfang der Achtziger mit Videoclips die Pop- zur Leitkultur machte, verschwand das Live-Element nach und nach vom Schirm. „Video killed the Rockpalast-Star“, ließe sich in Abwandlung jenes Buggles-Clips sagen, der das Musikfernsehen am 1. August 1980 eröffnet hat. Zwei Jahre darauf zog „Formel eins“ im Ersten nach und half unbewusst mit, die „Rockpalast Nacht“ aus der öffentlichen Wahrnehmung zu drängen. Gegen die audiovisuelle Inszenierung hatte das impulsive Konzert bald nur noch unplugged im Bergwerk eine Chance.

Es lebe das Musikfernsehen

Weil das Musikvideo als Kunstform bis zur Unkenntlichkeit kommerzialisiert wurde, degenerierte Viva zum Klingeltonkanal. MTV floh vor dem Bedeutungsverlust in die Kostenpflichtigkeit und verkuppelt nun Teenager. Das Musikfernsehen ist tot? Es lebe das Musikfernsehen! Sein analoger Hauptinhalt erhielt bei den neuen Medien Asyl und verklärt dort das Dasein per Playlists, Instagram, Youtube zum Lebensvideo in Endlosschleife.

Doch während der digitale Sound scheinbar nie verklingt, gibt’s seit der Zerschlagung von ZDF Kultur am Fernseher nur noch drei Darreichungsformen der Musik: Volkstümliches Täterä, Jinglegeklimper, Nachtprogramm bei Arte. Auch der „Rockpalast“ hörte zwar nie auf zu rocken, dient aber nur noch als Label ausgewählter Festivals oder als Konzertplattform des WDR. Etwa für Bands wie Die Nerven. Weil das Indie-Trio aus Stuttgart – unter weitestgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit – bei „Rockpalast Crossroads“ aufgetreten ist, meint Bassist Julian Knoth in der Doku, „nimmt mich meine Oma als Musiker ernst“. Er meint das positiv.

Termine: Am Sonntag, 23. Juli, um 0.40 Uhr zeigt die ARD Oliver Schwabes Dokumentarfilm „I’ve lost my mind in Essen“. Der WDR huldigt dem Rockpalast in der Nacht von Freitag, 28. Juli, auf Samstag, 29. Juli, mit Ausschnitte aus Konzerten etwa von U2 (1983), REM (1998) und Rage Against The Machine (2000). Um 3.20 am 29. Juli zeigt der WDR die allererste „Rockpalast“-Folge mit Rory Gallagher, Little Feat und Roger McGuinn.