Regine Reisinger ist mit ihrem Vollblutaraber etwa 400 Kilometer von Winden im Westerwald nach Stuttgart-Vaihingen geritten. Wir haben sie gefragt, was sie auf ihrer elftägigen Reise in ihre alte Heimat erlebt hat.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Vaihingen - Gierig rupft Jair das Gras vom Boden. Seine Besitzerin Regine Reisinger schenkt ihm einen liebevollen Blick. Festhalten muss sie ihn nicht, der Wallach steht gelassen auf dem kleinen Wiesenstück. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Sie haben in den vergangenen Tagen eine Distanz von fast 400 Kilometern zusammen zurückgelegt, von Winden im Westerwald nach Stuttgart-Vaihingen. „Man konzentriert sich aufeinander, wächst zusammen“, sagt Regine Reisinger. Ihre Sinne seien „pferdischer“ geworden. „Wenn er die Ohren spitzte, schaute ich auch automatisch auf“, erklärt Reisinger. Ihre Motivation, ihre Energie habe sich auf den 14-jährigen Vollblutaraber übertragen. „Und mein Frust war auch sein Frust.“ Dieser sei etwa aufgekommen, als eine Unterführung auf der Strecke gesperrt gewesen sei und Pferd und Reiter einen mehrere Kilometer langen Umweg nehmen mussten.

 

Anstrengend war der Ritt vor allem für die Reiterin

Die Harmonie zwischen beiden ist groß. Und durch die elf Tage lange Tour noch gestiegen. „Ich muss ihm vertrauen, dass er ruhig bleibt auch in ungewohnten Situationen. Und er muss mir vertrauen, dass nichts Schlimmes passiert, wo ich ihn hinlenke“, schildert Reisinger und tätschelt dem zufrieden schnaubenden Wallach den Hals. Seit fünf Jahren sind er und die 51-Jährige ein Team. Die lange Distanz und die Tagesritte über 35 bis 40 Kilometer seien für Jair kein Problem gewesen. Wildpferde legen bis zu 60 Kilometer am Tag zurück, sagt Reisinger. Die beiden nehmen regelmäßig an Wanderritten und Distanzrennen teil, die vergleichbar mit einem Marathon sind. Anstrengend sei der Ritt vor allem für die Reiterin gewesen. „Wir haben natürlich Ruhe- und Futterpausen eingelegt und einen Tag pausiert“, sagt Reisinger. Zudem sei sie zwischendurch abgestiegen und neben Jair hergelaufen, um ihm ihr Gewicht zu nehmen. Sie ist sich sicher, dass der Fliegenschimmel die Tour genauso genossen hat wie sie selbst. „So etwas macht nur Spaß, wenn es beiden Spaß macht.“

Mit dem Pferd auf der Fähre über den Rhein

Sie habe schon länger vorgehabt, eine längere Tour alleine mit ihrem Pferd zu bewältigen, sagt die 51-Jährige. Dieses Jahr habe alles gepasst. Auf ihrem T-Shirt stehen die Worte „würde, hätte, könnte, sollte“ allesamt durchgestrichen. „Das war schon immer ein Traum von mir. Mein Pferd und ich, ganz allein. Jetzt habe ich es einfach gemacht.“ Drei Monate Vorbereitung gingen dem Ritt voraus. Am Computer habe sie die Strecke geplant und überlegt, wie sie und Jair Autobahnen, Treppenstufen und Bahngleise überwinden können. Ballungszentren haben sie gemieden. „Deutschland ist wirklich schön. Wir haben so tolle Landschaften, von malerischen Flusstälern bis zu steilen Weinbergen“, schwärmt sie.

Zweimal sind die beiden mit der Fähre über den Rhein gefahren. Neugierige Blicke habe sie nicht nur dort geerntet. „Mit dem Pferd ist es wie mit anderen Tieren. Es öffnet Türen und Herzen“, sagt Reisinger. Die Gastfreundschaft, die sie unterwegs erlebt habe, sei immens gewesen. „Ich habe teilweise an Haustüren geklingelt und um Wasser für Jair gebeten. Meist habe ich dann noch einen Kaffee und ein paar Äpfel dazu bekommen“, schildert Reisinger. Geschlafen haben sie und Jair in den zehn Nächten bei Bekannten, in anderen Reitställen, Pensionen oder bei Privatleuten. Angst, weil sie alleine unterwegs war, habe sie nicht gehabt. „Ich habe mich nie unsicher gefühlt“, sagt Reisinger.

Über GPS konnte die Familie die Tour verfolgen

Ziel des Ritts, den Reisinger als eine Art Pilgerreise beschreibt, war ihre alte Heimat. Sie ist in Stuttgart-Vaihingen aufgewachsen, hat das Fanny-Leicht-Gymnasium besucht und in Stuttgart Schulmusik studiert. Auf der Jugendfarm in Möhringen habe sie mit sieben Jahren das erste Mal auf einem Pferd gesessen. Heute wohnt sie mit ihrem Mann in Winden. Gemeinsam haben sie zwei 20 und 22 Jahre alte Kinder. Ihre Eltern und ihre Schwester leben noch heute in Vaihingen. „Von meiner neuen Heimat in die alte zu reiten, war wie nach Hause zu kommen“, sagt Reisinger. Jair ist sozusagen ebenfalls Schwabe. Seine Vorfahren stammen vom Landgestüt Marbach. Der Vollblutaraber hat für ein paar Nächte im Stall der Reitanlage Schöppler an der Handwerkstraße Unterschlupf gefunden, bevor es wieder nach Hause ging. Dieses Mal allerdings auf Rädern statt auf Hufen.

Über GPS auf ihrem Handy hat Regine Reisinger unterwegs die Strecke im Blick behalten. Ihre Familie habe die Tour über einen zusätzlichen GPS-Sender in ihrer Hosentasche jederzeit verfolgen können. „Mein Vater ist sozusagen die 400 Kilometer am PC mitgeritten“, sagt die gebürtige Stuttgarterin und lacht. Sie kann sich durchaus vorstellen, eine solche Tour noch einmal zu machen. „Es war eine tolle Erfahrung“, sagt Reisinger.