In Inge Kopetschkes Leben spielt die Familienbildungsstätte Waiblingen schon seit ihrer Gründung im Jahr 1970 eine wichtige Rolle: Erst belegte die gelernte Direktrice dort Kurse, seit mittlerweile 42 Jahren unterrichtet sie selbst andere im Nähen.

Waiblingen - Sie ist von Anfang an dabei gewesen: Zu Beginn der Siebziger hat Inge Kopetschke erstmals einen Kurs bei der Mütterschule Waiblingen belegt. „Schwangerschaftsgymnastik“, sagt sie, die damals ihr erstes Kind erwartete. Der Sohnemann feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag – genau wie die Mütterschule, die inzwischen unter dem Namen Familienbildungsstätte Waiblingen (FBS) bekannt ist. „Das gute Klima dort hat mir einfach gefallen“, sagt Inge Kopetschke, die der Bildungseinrichtung ein halbes Jahrhundert lang treu geblieben ist. Nachdem die junge Mutter noch Kurse in Rückbildungsgymnastik, Säuglingspflege und Erziehung nach Thomas Gordon absolviert hatte, regte eine Nachbarin an: „Sie könnten doch Nähkurse geben.“

 

Tatsächlich hat Inge Kopetschke das nötige Know-How: „Ich bin Direktrice, das ist in der Industrie das, was im Handwerk die Meisterin ist.“ Sie kramte also ihre Zeugnisse hervor, zog sich schön an und ging zur Leiterin der Mütterschule. „Die sagte aber: ,wir brauchen niemand’“, erinnert sich Inge Kopetschke. Das war im Frühjahr 1977. Im Herbst des gleichen Jahres fragte die Mütterschule an, ob das Angebot noch stehe. Das tat es.

Bis zu vier Kurse in der Woche

Seitdem gibt Inge Kopetschke Nähkurse – ihr erster Kurs begann vor 42 Jahren, im Januar 1978. „Im zweiten Semester waren es zwei Kurse, im dritten drei und danach bis zu vier pro Woche“, erzählt die 75-Jährige, die noch heute Semester für Semester jede Woche zwei Kurse anbietet – einen am Donnerstagvormittag, einen nachmittags. Anmelden können sich sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene. „Jeder kann kommen“, sagt Inge Kopetschke, die anfangs auch Kurse mit einem bestimmten Thema gab, beispielsweise „Wir nähen einen Blazer“ oder „Wir fertigen ein Abendkleid an“.

Doch schnell stellte die Dozentin fest, dass die meisten Teilnehmerinnen sich weniger nach Spezialkursen sehnen, sondern ein breites Angebot schätzen. Wie flickt man eine Hose, wie ändert man Bettwäsche, wie näht man ein Abendkleid, einen Rucksack, Vorhänge oder ein historisches Kostüm im Barockstil? All das können Nähbegeisterte mit Inge Kopetschkes Unterstützung umsetzen. Auch die zahlreichen Stammteilnehmerinnen – die älteste ist 80 Jahre alt – stehen Nähneulingen gerne bei: „Wenn eine Anfängerin in den laufenden Kurs kommt, dann gibt es viele alte Hasen, die ihr helfen.“

Häsinnen wäre genau genommen der korrekte Ausdruck, denn Männer verirren sich nur selten in die Nähkurse – was Inge Kopetschke gelassen nimmt. Sie schätzt die Gemeinschaft ihrer Nähfrauen und den Raum, den die Familienbildungsstätte Waiblingen am Alten Postplatz für die Kurse zur Verfügung stellt: ein helles, großes Zimmer, ausgestattet mit Spiegel, Schneiderbüste, Dampfbügelanlage und drei Overlock- sowie acht Haushaltsnähmaschinen. Diese Maschinen, die relativ einfach zu bedienen und zu warten sind, schätzt die Fachfrau, die daheim auf einer uralten Pfaff-Maschine näht.

Direktrice als Traumberuf

„Zu Hause habe ich ein großes Fach voller Stoffe und bei jedem habe ich genau im Kopf, was ich gerne daraus nähen würde“, erzählt Inge Kopetschke, die längst nicht so oft an ihrer Pfaff sitzt, wie sie es gerne täte. Schon als junges Mädchen hat sie genäht, wann immer Zeit war. Später besuchte sie die Modeschule und arbeitete dann in diversen Betrieben. „Direktrice war und ist mein Traumberuf“, sagt die 75-Jährige, welche die Liebe von der Tauber an die Rems gebracht hat.

Bei ihren Kursen lerne sie immer noch etwas dazu: „Es ist nie langweilig, auch nach 42 Jahren nicht.“ Die Teilnehmerinnen bringen zum Kurs einen Stoff und eine Idee mit – „und ich muss es umsetzen“. Das klappe eigentlich immer, sagt Inge Kopetschke, deren besondere Spezialität das Einsetzen von Ärmeln ist: „Alle Leute haben Angst davor, aber ich mache das besonders gerne und gebe keine Ruhe, bis es wirklich gut sitzt.“ Auch sonst legt sie Wert auf Qualität, denn: „Ein guter Stoff lässt sich schöner nähen und hält auch besser.“ Billigkleidung, die mit negativen Folgen für Mitmenschen und Natur produziert wird, ist Inge Kopetschke ebenso ein Dorn im Auge, wie der Trend zum Wegwerfen. Deshalb arbeitet sie ehrenamtlich im monatlichen Repair-Café der FBS mit, zeigt Hilfesuchenden, wie man die geliebte Jeans nahezu unsichtbar flickt und die Kinderhose so kunstvoll verlängert, dass es niemand merkt.

So lange es geht, will Inge Kopetschke weiter Nähkurse geben: „Ich hoffe, meine Hände machen mit – die Feinmotorik ist da wichtig.“ Ihr großes Vorbild sei ihre Tante Liesel: „Sie hat mit 89 Jahren noch genäht. Dass ich das auch kann, das wünsche ich mir.“