Sie selbst engagieren sich stark im interreligiösen Dialog. Ende vergangenen Jahres hatten Sie mit dem muslimischen Theologen Mouhanad Khorchide hier in Rom bei einer Veranstaltung über die Rolle der Barmherzigkeit in den beiden Religionen diskutiert.
Wir haben ein sehr gutes Gespräch geführt. Khorchide, wäre er hier, würde herausstellen, dass Barmherzigkeit auch im Islam ein ganz wichtiger Begriff ist. Fast jede Sure des Koran beginnt mit der Anrufung Allahs, des Allbarmherzigen. Darin besteht eine gewisse gemeinsame Grundlage zwischen Christentum und Islam. Diese Grundlage erlaubt es, zusammenzuarbeiten für die Gerechtigkeit und für den Frieden in der Welt. Aber es gibt auch bezeichnende Unterschiede, die man nicht außer Acht lassen darf, vor allem der Glaube an Jesus Christus. Aber ich denke, auf lange Sicht kann man zu einem guten Miteinander kommen.
Querelen gibt es ja nicht nur zwischen den Religionen, auch innerhalb des Vatikans kochen die Emotionen hoch. Anfang dieses Jahres gab es die Plakataktion gegen Papst Franziskus in Rom, und eine gefälschte Ausgabe der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ wurde in Umlauf gebracht – darin werden auch Sie direkt angegriffen. Sind diese Aktionen eine Gefahr für Franziskus?
Es gab schon immer Auseinandersetzungen und Dialog in der Kirche. Es wäre ja langweilig, wenn alle die gleiche Meinung hätten. So etwas gibt es nicht unter Menschen, die denken. Gefährlich scheinen mir die aktuellen Diskussionen nicht zu sein – sie sind ja auch ein Zeichen von Leben. Bloß sollte man diese Auseinandersetzungen in einer Weise führen, die den gegenseitigen Respekt bezeugen. Ein gefälschter „Osservatore“ ist kein anständiges Mittel, um sich auseinanderzusetzen. Das kann man nur ablehnen. Das Ganze wird aber auch hochgespielt. Ich habe den Eindruck, dass die ganz große Mehrheit der Katholiken, aber auch weit darüber hinaus, sehr positiv zu Papst Franziskus eingestellt ist.
Wenn Sie sagen, der Respekt fehlt teilweise: War es respektlos von den vier Kardinälen, ihren Brief an den Papst, in dem sie Zweifel an der päpstlichen Schrift „Amoris Laetitia“ üben, zu veröffentlichen?
Jeder Kardinal und auch jeder Christ kann dem Papst einen Brief schreiben und darin seine Zweifel vortragen, das ist völlig normal. Ich habe es aber nicht für eine gute Idee gehalten, dass die vier Kardinäle ihren Brief veröffentlicht haben. Das hat den Eindruck einer grundsätzlichen Opposition oder gar eines Aufstands erweckt. Das Schreiben „Amoris Laetitia“ ist für mich klar und wird sich durchsetzen. Eine sehr große Zahl der Katholiken ist froh, dass der Papst in dieser offenen Weise die Fragen angegangen hat, ohne irgendeine Wahrheit des Glaubens aufzugeben.