Kernelemente wie die Sakramente für wieder verheiratete Geschiedene sind Punkte, die Sie schon sehr lange fordern.
Ich bin dankbar für dieses Schreiben. Es hat dem Anliegen dessen entsprochen, was ich am Anfang der ganzen Diskussion gesagt habe – wobei der Papst inhaltlich weit darüber hinaus gegangen ist. Die Diskussion über Sexualität, über Ehe und Familie ist nötig, das sind Wirklichkeiten, die jeden Menschen betreffen, und sie sind grundlegend für unsere Gesellschaft. Der Papst vertritt Positionen, die auf dem Boden des Evangeliums stehen und die gleichzeitig hilfreich sind für die Menschen und Orientierung geben.
Manche bezeichnen Martin Luther als Reformkatholiken – was haben Luther und Franziskus gemeinsam?
Luther war sicher am Anfang ein Reformkatholik. Später hat sich das etwas gewandelt. Gemeinsam haben Luther und Franziskus, dass beide vom Evangelium ausgehen und sich darauf zurückbesinnen. Gemeinsam haben sie auch, dass das Evangelium eine befreiende Botschaft der Freude ist und kein lastendes, niederdrückendes Gesetz. Beide reden in je ihrer Weise von der Freiheit des Christenmenschen und wollen Reformen in der Kirche. Natürlich gibt es auch wichtige Unterschiede, etwa im Verständnis der Kirche. Doch grundsätzlich lässt sich die Situation der Kirche und der Welt von heute mit der vor 500 Jahren kaum vergleichen.
Sie feiern an diesem Wochenende ihr 60-Jahr-Jubiläum im Priesteramt. Würden Sie sich wieder für diesen Weg entscheiden?
Ich habe diesen Weg nie bereut. Das Leben des Priesters hat seine Probleme wie jedes andere Leben auch. Aber es ist auch Quelle von großer Freude. Mit und bei den Menschen zu sein, ihnen die frohe Botschaft des Evangeliums weiterzutragen, das brauchen wir heute doppelt und dreifach, bei all der Orientierungslosigkeit und auch der Angst in der gegenwärtigen Welt. Ich würde diesen Weg heute wieder wählen, und ich würde ihn auch jedem jungen Menschen, der sich dazu berufen fühlt, empfehlen.
Sie sagten, es gibt Probleme und Freuden, haben nun aber nur die Freuden beschrieben. Was sind die Probleme?
Gut, nicht alle mögen das Evangelium, die Botschaft und die Gebote Gottes. Sie sind eine Hilfe zu einem glückenden Leben, aber treffen auch auf Widerstände oder Gleichgültigkeit. Natürlich hat der Zölibat auch seine Probleme, doch auch die Ehe hat oft ihre Probleme. Umgekehrt gibt der Zölibat Freiheit und Unabhängigkeit für den pastoralen Dienst und schenkt auch menschliche Erfüllung.
Sollte denn der Zölibat abgeschafft werden?
Das wird oft diskutiert, steht aber nicht auf der kirchlichen Tagesordnung. Das hat der Papst jüngst ausdrücklich gesagt. Er hat freilich hinzugefügt, man könne über die sogenannten viri probati, also über die Weihe von in Ehe und Beruf erfahrenen Männern, nachdenken. Damit liegt der Ball zunächst einmal bei den Bischofskonferenzen. Denn in dieser Frage kann es keine weltweite Einheitslösung geben. Dazu sind die Situationen in der Welt viel zu verschieden. Persönlich bin ich überzeugt, dass die zölibatäre Lebensform der Priester in der katholischen Kirche die Normalform bleiben wird.