Die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 haben ihren Protest wegen Corona von der Straße ins Netz verlegt. Am Montag gibt Gerhard Polt einen Gastauftritt.

Stuttgart - Die Coronakrise geht auch an der organisierten Gegnerschaft des Bahnprojekts Stuttgart 21 nicht spurlos vorbei. Statt mit Pauken und Trompeten auf der Straße versammelt sich der Protest seit Wochen vor dem heimeligen Bildschirm. Am kommendem Montag, 14. Februar, wird auf parkschuetzer.de/videos/ die 600. Kundgebung gefeiert und damit auch an die Räumung des Schlossgartens vor genau zehn Jahren erinnert. Ein Teil der grünen Lunge in der Innenstadt musste damals dem Baufeld für den Durchgangsbahnhof weichen, Polizei räumte dazu das Protestcamp. Übereilt und mit unnötiger Härte, sagt Dieter Reicherter, denn die Bahn habe ihre Bauarbeiten noch gar nicht beginnen können.

 

Klimakrise liefert Projektgegner einen Motivationsschub

Der frühere Richter (74) hat vor wenigen Wochen die Sprecherrolle der S-21-Gegner vom Anwalt Eisenhart von Loeper (80) übernommen, „fast ein Vollzeitjob“, so Reicherter, die anhaltende juristische Auseinandersetzung mit der Bahn AG sei sehr umfangreich. „10 Jahre Parkzerstörung“ ist das Thema der 600. Demo. „Die Parkräumung damals war ziemlich deprimierend und einschneidend“, so Reicherter. Dem Protest tat das keinen Abbruch, und in jüngster Zeit habe das Klimathema „unserer Motivation einen Schub gegeben“, sagt Thomas Adler, bis 2021 Stadtrat in Stuttgart (Linke) und zuvor bei Daimler Gewerkschafter (IG Metall). Die Bahn sei mit ihrer Ausrichtung auf Schnellfahrstrecken und energieintensiven Ingenieurbauten nicht auf Klimakurs und vernachlässige Fahrgäste in der Fläche.

Kostenexplosion als Motivationshilfe

Natürlich gibt auch jede neue Kostenexplosion des Projekts den Gegnern Motivationshilfe. Die Bahn AG liefert sie fast zuverlässig alle paar Jahre, aktuell ringt der Aufsichtsrat um womöglich fast eine weitere Milliarde. Ende 2025, wenn Stuttgart 21 in Betrieb gehen soll, würde die Demozahl wohl fast die 800 erreichen. „Daran habe ich keine Zweifel“, sagt Reicherter. Die Zweifel gelten der Umsetzbarkeit des Projekts, seiner Leistungsfähigkeit und dem Brandschutz, der sich zu einem „brisanten Thema“ auswachsen werde, so Adler.

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Zur 600. Auflage der Demo am Montag werden mit dem Regisseur Volker Lösch und dem Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim alte Protest-Bekannte sprechen. Zugeschaltet werden der Kabarettist Gerhard Polt und die Well-Brüder, die mit Polt früher unter einem anderen Label tourten. „Die Strahlkraft des S-21-Protestes ist enorm“, sagt Adler zur Einwerbung der Altstars. Corona und ein nur virtueller Auftritt erleichtern die Teilnahme – und schonen die Kasse von Umkehrbar e. V. und den Parkschützern, die die Demos finanziell bestreiten.