Eine Verfolgungsjagd in der Kanalisation einer kriegszerstörten Stadt und eine bekannte Zither-Melodie - der Filmklassiker „Der dritte Mann“ ist unter Cineasten Kult. Orson Welles beging als Hauptdarsteller einen Fehler, der sein weiteres Berufsleben prägte.

Wien - Ein Filmstar im Dreck und Gestank einer Kanalisation? Der damals 33-jährige Orson Welles, seit „Citizen Kane“ von Publikum und Kritik angehimmelt, zögerte, sich in die modrig-glitschige Unterwelt des kriegszerstörten Wien zu begeben. „Er hatte Panik, dass seine Bariton-Stimme wegen der Bakterien leiden könnte“, erzählt Gerhard Strassgschwandtner, Betreiber des privaten „Dritte Mann Museums“ in Wien. Schließlich verbrachte Welles als Gangster Harry Lime bei den Dreharbeiten zum späteren Filmklassiker „Der dritte Mann“ im Herbst 1948 zumindest ein paar Stunden dort unten - und mit Hilfe eines Doubles wurden die legendären Verfolgungsszenen gefilmt.

 

Der Schwarzmarkt bestimmt das Leben

Vor 70 Jahren, am 2. September 1949, hatte der vom Spionage-Spezialisten Graham Greene geschriebene und vom Regisseur Carol Reed inszenierte Schwarz-Weiß-Streifen um Freundschaft, Moral, Gier und Korruption in London umjubelte Weltpremiere. Er gilt auch dank der brillanten Kameraarbeit, für die es einen Oscar gab, bis heute als einer der besten Filme. Und er ist ein Dokument, das Wien von einer vergessenen Seite zeigt.

Touristen, die heute die herausgeputzte Stadt in ihrer alten kaiserlichen Pracht erleben, werden sie im Film fast nicht wiedererkennen. Nach 53 Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg türmten sich die Schuttberge, waren Zehntausende Wohnungen zerstört, die Bevölkerung hungerte und fror. „Es ist eine Zeit, an die sich die Wiener nur ungern erinnern“, stellt Strassgschwandtner fest. Wie in Deutschland bestimmte der Schwarzmarkt das Leben und Überleben. Genauso eine Kulisse schwebte Produzent Alexander Korda vor, als er Greene beauftragte, in der ähnlich wie Berlin von den vier Alliierten besetzten Stadt für einen Thriller zu recherchieren.

Gepanschtes Penicillin

Greene hatte eine wichtige Idee im Kopf. Das Scheinbegräbnis eines Mannes sollte eine zentrale Rolle spielen. Und so kam es: Nach einem Verkehrsunfall wird der Amerikaner Harry Lime auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben. Sein Jugendfreund Holly Martins - von Lime eigens nach Wien geholt - wird unmittelbar nach Ankunft in der Stadt Zeuge der scheinbar traurigen Szene. Er erfährt, dass die britischen Besatzungsbehörden Lime wegen ganz übler Schwarzmarktgeschäfte mit gepanschtem und noch extrem seltenen Penicillin verfolgt haben. Und er wird informiert, dass neben zwei namentlich bekannten Personen auch ein dritter Mann den verunglückten Freund von der Straße getragen hat. Es wird immer klarer, dass Lime seinen Tod nur inszeniert hat.

Orson Welles improvisierte jenseits des Drehbuchs noch einen Satz zur Rechtfertigung der Skrupellosigkeit von Lime. „In Italien herrschten in den 30 Jahren unter den Borgias Krieg, Terror, Mord und Blutvergießen - und es gab Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschten brüderliche Eintracht, 500 Jahre Demokratie und Frieden - und was kam raus? Die Kuckucksuhr.“

Exotische Töne

Zum Ruhm des Films hat ganz wesentlich Anton Karas beigetragen. Der völlig unbekannte Zitherspieler in einem Wiener Heurigenlokal wurde vom Filmteam entdeckt und um Probeaufnahmen gebeten. Als Regisseur Reed die exotischen Töne hörte, habe er entschieden, das solle die Filmmusik werden, so Strassgschwandtner. Das unverwechselbare „Harry-Lime-Thema“ und weitere Zither-Stücke wurden sieben Wochen lang von Karas in London eingespielt. Die Titelmelodie war 1950 wochenlang auf Platz 1 der US-Charts. Karas wurde zum Weltstar und reichen Mann - der sich ein eigenes Heurigenlokal gönnte.

Finanziell hatte Welles, der in seinem Berufsleben immer wieder viel Ehrgeiz und Mühe in die Finanzierung seiner zahllosen Projekte stecken musste, sich mit dem „Dritten Mann“ verspekuliert. Er griff zur Traumgage von 100 000 Dollar statt zum Angebot, sich einen Teil an den Filmrechten zu sichern. „Er hätte nie mehr für seine Projekte um Geld betteln müssen“, ist sich Strassgschwandtner sicher.