Am 8. Mai 1945 waren die Schrecken des Kriegs endlich vorbei. Heute jährt sich der „Tag der Befreiung“ zum 75. Mal. Zeitzeugen erinnern sich.

Renningen - Vor der Haustür in Renningen begegnete sie ihrem späteren Lehrer und grüßte ihn mit dem Hitlergruß. Der aber sagte nur: „Karin, der Krieg ist vorbei.“

 

Diese kleine Anekdote muss sich am 8. Mai 1945 zugetragen haben. So erinnert sich die Renningerin Karin Schneider in dem kleinen Büchlein, das Pfarrer Franz Pitzal und Stadtarchivar Mathias Graner über das Kriegsende im Ort verfasst haben. Heute jährt sich zum 75. Mal die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und somit das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa.

Große Geschichte ist das, die sich auf das Leben der Menschen vor Ort ausgewirkt hat. Auch in Weil der Stadt sammelt der Stadtarchivar Lothar Sigloch Zeitzeugenberichte über dieses Datum. „Es ist sehr schwierig, anhand der Unterlagen im Stadtarchiv ein verlässliches Bild zu erstellen, was sich in den letzten Kriegstagen in Weil der Stadt und den Stadtteilen ereignet hat“, erklärt Sigloch. Schriftliche Quellen gebe es kaum, sie wurden zum Kriegsende hin vernichtet oder aber gar nicht erstellt. Auch Zeitungen berichteten in dieser Zeit nur noch bruchstückhaft oder die Berichte waren geschönt. „Deshalb sind Zeitzeugenberichte eine wichtige Quelle für das Kriegsende in unserer Stadt“, sagt der Archivar.

Wir dokumentieren einige Berichte Renningen, die in dem Renninger Buch nachzulesen sind:

Günter Sigloch: „Endlich war Frieden“

Als ich am Morgen des 20. April vor das Haus ging, sah ich in meiner Heimatstraße einen schwerbewaffneten französischen Soldaten. Rasch ging ich ins Haus zurück. Er ging weiter, und ich war erleichtert. Am Tag zuvor hatte ich meine Sachen von der Hitlerjugend (Kleider, Fanfare usw.) im Garten vergraben. Gerüchte hatten besagt, wer damit erwischt wird, den nehmen sie mit. Niemand wagte sich mehr aus dem Haus. Trotzdem erfuhr man: Ausgangssperre, die Radios sind abzuliefern. Damit war der Krieg für uns vorbei. Alles war ungeordnet. Die Franzosen setzten sofort einen neuen Bürgermeister ein. Die Tage vergingen und plötzlich, es war der 8. Mai 1945, wir waren wie immer in diesen Tagen zu Hause, hörte man: ,,Deutschland hat kapituliert“.

Mein Großvater hatte es zuerst gewusst und auch mir gesagt. Dieser Tag hatte für mich eine große Bedeutung, allerdings überwogen die Sorgen des Ungewissen. Gleichzeitig freute ich mich aber: „Endlich war Frieden!“

Anna Tafferner: „Die Russen schossen und töteten ihn“

Am 8. Mai, dem Tag des Kriegsendes, war ich in Czambek (Ungarn). Bei uns waren bereits die Russen. Wir Frauen mussten für sie Schützengräben bauen. Überall suchten sie nach deutschen Soldaten.

Dabei kam es zu einem Erlebnis, das ich nie vergessen werde: Unser Nachbar, Peter Giggler, kam als Soldat zurück und hatte die Uniform nicht abgelegt. Die Russen sprangen ihm nach – wir Kinder haben dies alles gesehen – schossen und töteten ihn. Seine Tochter, die jetzige Frau Sauter, wohnt jetzt in Renningen und hat mit uns den Transport überlebt.

Im Mai 1946 mussten wir dann in vier verschiedenen Transporten in Viehwaggons die Heimat verlassen. Man sagte uns, wir würden wieder zusammenkommen, was aber nicht wahr war. In den Waggons gab es Holzöfen. Wir konnten darauf kochen und heizen. In Bad Reichenhall gab es einen Stopp, wo wir entlaust wurden.

Dann ging es direkt ins Lager Malmsheim, wo wir in einem Sammelquartier untergebracht wurden. Wir lagen alle auf dem Boden, es gab keine Betten. Der nahe liegende Wald gab uns die Möglichkeit, Beeren zu sammeln. Die Männer sammelten Weiden, mit denen sie Backkörbe fertigten. Dafür wurden sie ein wenig entlohnt und konnten sich Essen verschaffen.

Zunächst ging es dann nach Münklingen, wo wir bei einem Bauern untergebracht waren und mit aufs Feld durften. Dann aber fanden wir einen Platz in Renningen, konnten hier bauen und wurden sesshaft.

Karin Schneider: „Vater starb an einem Schädelbasisbruch“

Mein Vater Robert Haußer war nicht im Krieg, er war in Paris mit einem Bauzug der Reichsbahn in Frankreich eingesetzt. Am Kriegsende wollte er über Heilbronn heim nach Renningen. Er hatte in Northeim bei Heilbronn langjährige Freunde und wollte dort Halt machen. In der Bahnhofsgaststätte, wo die Freunde wohnten, war das Dach durch Artilleriebeschuss zerstört. Bei Aufräumarbeiten half mein Vater und ist dabei am 14. April verletzt worden. Er kam mit einem Schädelbasisbruch ins Brackenheimer Krankenhaus, wo er am 18. April gestorben ist.

Uns konnte man nicht benachrichtigen, weil Ausgangssperre war. Am 17. Juni, einem Samstag, kam ein Mann mit dem Fahrrad zu uns nach Renningen und brachte den Brief von den Freunden meines Vaters. In diesem stand, dass mein Vater seit dem 20. April auf dem Friedhof in Northeim beerdigt ist.

Die Klinik in Brackenheim schickte uns eine Rechnung über vier Verpflegungstage, zu zahlen in Naturalien. Meine Mutter und mein Onkel Otto Binder sind dann mit dem Fahrrad und zwei Leiterwägele nach Brackenheim gefahren, mit zwei Zentnern Mehl vom Ihinger Hof, 200 Eiern von Hedwig Schaber, 30 Glas selbstgekochter Marmelade meiner Großmutter und einem Fässle Zuckerrübensirup.

Film über das Kriegsende

Die evangelische Erwachsenenbildung Leonberg hat über das Kriegsende einen Film produziert, der von heute an im Internet zu sehen ist: www.ewb-leonberg.de