Die Oscars sind verliehen und Leonardo DiCaprio hat ihn endlich bekommen, die Auszeichnung als bester Hauptdarsteller.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Los Angeles - Es hat geklappt. Fünfmal war er schon nominiert für einen Oscar, fünfmal musste er in der Oscar-Nacht anderen den Vortritt lassen. Nun endlich hat sich die Mehrheit der knapp 6000 Mitglieder der amerikanischen Filmakademie entschlossen, einen ihrer erfolgreichsten, zugkräftigsten, wandelbarsten, ausdruckstärksten Schauspieler mit einem Award auszuzeichnen. Im 42. Lebensjahr hat Leonardo DiCaprio den Oscar als bester Hauptdarsteller erhalten – für seine allseits gelobte, herausragende Darstellung des Trappers Hugh Glass in Alejandro González Iñárritus Wildwestdrama „The Revenant“.

 

Hätte es diesmal wieder nicht geklappt, man hätte langsam nicht mehr gewusst, was DiCaprio eigentlich noch anstellen muss, um von der Academy in eine Reihe mit den ganz Großen der Hollywood-Schauspieler gerückt zu werden. Es mag zwar immer noch Leute geben, die in dem Sohn einer deutschen Rechtsanwaltsgehilfin aus Oer-Erkenschwick nichts weiter sehen können als den Milchbubi-Auswanderer Jack Dawson, der 1997 in James Camerons „Titanic“-Epos seine angebetete Rose (alias Kate Winslet) auf dem Staudeck in einem Oldtimer verführt, um anderthalb Stunden später ihrer vergeblich klammernden Hand zu entgleiten und in den grauen Tiefen des Atlantik zu versinken. Das war die Art von Kino, mit der man damals überall auf der Welt Millionen kleiner Mädchen zum Kreischen brachte.

Eigentlich wäre 2005 spätestens der Oscar fällig gewesen

Aber das ist nun fast zwanzig Jahre her – und aus dem allzu glatten Teenieschwarm ist über die Jahre, eigentlich erstaunlich früh einer der wichtigsten Charakterdarsteller des amerikanischen Kinos geworden. Einer der wichtigsten Ereignisse in Leonardo DiCaprios Leben war zweifellos das Kennenlernen des Regisseurs Martin Scorsese. Der kompromisslose Regiekünstler Hollywoods erkannt früh die Chancen, die ihm der junge Darsteller bot – einerseits bekannt, populär und darum ein Kassenmagnet zu sein, andererseits aber auch über enormes darstellerisches Potenzial zu verfügen. In dem blutigen Bandenfilm „Gangs of New York“ setzte Scorsese 2002 erstmals DiCaprio mit ambitioniertem Auftrag ein.

Noch radikaler war sein Auftrag 2004 im Biopic „Aviator“. DiCaprio spielte hier den amerikanischen Medienmogul und Flugpionier Howard Hughes, dessen manisch-überdrehten Projekte die Amerikaner Zeit seines Lebens faszinierten, der aber zugleich auch an wachsender Hybris und Wirrnis litt. Mit viel Mut zur Hässlichkeit stellte DiCaprio diese Figur dar – und brach endgültig mit seinem Image als ewig nur Hübscher. Eigentlich wäre hier im Februar 2005 schon der Oscar fällig gewesen.

„The Revenant“ ist anstrengend für den Zuschauer

Es kam bekanntlich anders. Es folgten große Rollen in klassischen Thrillern („Departed“, 2006; „Blood Diamond“, 2006; „Shutter Island“, 2010). Es folgte eine kongeniale Zusammenarbeit mit dem Regisseur Christopher Nolan im Zeit-Drama „Inception“ (2010). Es kam eine lange unvergessliche Sequenz als mörderisch-fies-sadistischer Sklavenbesitzer in Quentin Tarrantinos „Django Unchained“ (2012). Vorläufig letzter Höhepunkt war dann die Finanzkapitalismus-Groteske „The Wolf of Wall Street“ (2013), mit der sich DiCaprio auch als unabhängiger Filmproduzent in Hollywood eindrucksvoll zu Wort meldete.

Und dann also „The Revenant“ des ebenso genialen wie leicht irren mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu, ein Zweieinhalb-Stunden-Epos über einen Trapper, der von einem Grizzly beinahe zerfleischt und von seinen Kameraden heimtückisch in der Natur zurückgelassen wird, der es aber aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz doch schafft, in die Zivilisation zurückzukehren und Rache an seinen Widersachern zu nehmen. Anstrengend für den Zuschauer ist dieser Film, letztlich eine kompromisslose Studie über die Gewalt und das Böse als eigentliche Triebfedern menschlicher Existenz. Noch weitaus anstrengender wohl die monatelangen Dreharbeiten, die Iñárritu von seinen Darstellern unter Realbedingungen des kanadischen und argentinischen Winters verlangte. Doch es hat sich gelohnt: von der betont langsamen, schier ausufernden Erzählweise des Regisseurs mag der eine oder andere Zuschauer genervt gewesen sein, von der frappierend dichten, authentischen Darstellungskust DiCaprios aber wohl kaum.

DiCaprio macht eigentlich alles richtig

Unvergesslich jene Filmminuten, da sich der nach besagtem Bärenüberfall eigentlich mehr tot als noch lebendige, lahme, von Wunden übersäte, stumme Trapper Hugh zur Leiche des gerade ermordeten eigenen Sohnes schleppt. Nur mit seiner Mimik spielt DiCaprio ein Maß an Leid und Verzweiflung von Tragödien-Größe. Unvergesslich auch, wie er von einem nahen Ast eine vom Dauerfrost längst verdorrte Blüte klaubt, um sie dem Kind als letztes Zeichen der Zuneigung aufs Gesicht zu legen. Ganz, ganz großes Kino.

Mehr geht eigentlich nicht. Das fanden nun endlich auch die Mitglieder der Akademie und ehrten einen ihrer Besten mit dem längst überfälligen Oscar – und, natürlich, mit Ovationen im Stehen. Leonardo DiCaprio macht eigentlich alles richtig: Er verdient viel Geld, fördert aber auch die Filmkunst mit eigenen Projekten, engagiert sich für Umweltschutz und kraftstoffsparende Autos, gegen den Klimawandel und Naturzerstörung. Was das Öffentliche angeht, ist er schlicht ein Guter. Und das Private geht uns ja eigentlich nichts an. Am Beginn seiner besten Jahre hat er Dinge erreicht, auf die andere erst am Ende ihres Berufslebens zurückblicken können. Respekt! Der wichtigste Filmpreis der Welt gebührt ihm. „Titanic“ ist längst Vergangenheit. DiCaprios Kino macht den Film interessant auch für die Zukunft.