Der neue Bundesverkehrswegeplan, der Straßen- und Schienenbauprojekte ihrer Dringlichkeit und damit ihrer Realisierbarkeit nach einordnet, ist in der Region auf unterschiedliche Resonanz gestoßen.

Stuttgart - Der am Mittwoch veröffentlichte Bundesverkehrswegeplan, der Straßen- und Schienenbauprojekte bis zum Jahr 2030 ihrer Dringlichkeit und damit ihrer Realisierbarkeit nach einordnet, ist in der Region Stuttgart auf unterschiedliche Resonanz gestoßen. So hat Roland Klenk (CDU), der Oberbürgermeister von Leinfelden-Echterdingen, ausdrücklich begrüßt, dass der Ausbau der B 27 zwischen Aich und seiner Stadt in den vordringlichen Bedarf eingestuft worden ist. „Damit ist die Chance deutlich gestiegen, dass dieses wichtige Projekt auch bald verwirklicht wird“, sagte er.

 

Die B 27 zwischen Aich und Leinfelden-Echterdingen

Allerdings ist es aus Sicht des Rathauschefs, der auch im Regionalparlament sitzt, ebenso wichtig, den öffentlichen Nahverkehr zu fördern und die S-Bahn im Ballungsraum Stuttgart zu einem leistungsfähigen Netz auszubauen. „Wenn Stuttgart den Titel Stauhauptstadt loswerden soll, muss in die komplette Verkehrsinfrastruktur investiert werden“, betonte er. Neben Schienenprojekten nannte er als Beispiele auch die Überlegungen für den Ausbau der Filderauffahrt oder des sogenannten Nordostrings, die Verbindung zwischen der B 27 bei Kornwestheim und der B 14 im Remstal, der von der Bevölkerung vor Ort allerdings massiv abgelehnt wird.

Der Filderstädter Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel (Grüne) hält den Ausbau der B 27 ebenfalls für „eine gute Sache“. Lieber hätte es der frühere Filderstädter Stadtrat jedoch gesehen, die Trasse wäre nicht nur in den „Vordringlichen Bedarf“ eingestuft, sondern noch mit dem Attribut „Engpass-Beseitigung“ versehen worden. „Aus meiner Sicht wäre diese Einstufung richtig, um die besondere Dringlichkeit und Bedeutung zu verdeutlichen.“

Die B 10 im Neckartal

Erstaunen bis Ablehnung dagegen erntet die Aufnahme des sechsspurigen Ausbaus der B 10 zwischen der Stuttgarter Wilhelma und Plochingen in das Planwerk. Der Kirchheimer Landtagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Andreas Schwarz, stuft das Projekt als „nicht sinnvoll“ ein. Darüber seien sich die Fraktion der Grünen und das Landesverkehrsministerium einig. Zum einen sei für einen solchen Ausbau kein Platz im Neckartal, zum anderen „würde er die Verkehrsprobleme nicht beheben“. Den Ausbau habe das Land auch gar nicht angemeldet, offenbar habe ihn der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) „per copy and paste“ vom alten Entwurf des Bundesverkehrswegeplans übernommen.

Tatsächlich habe das Land den Ausbau, auch wegen der technischen Schwierigkeiten, als „nachrangiges Projekt“ eingestuft, bestätigt der Sprecher des Verkehrsministeriums in Stuttgart, Edgar Neumann. In seiner Behörde sei man zwar froh, dass der Bund so viele Projekte im Land in den „vordringlichen Bedarf“ aufgenommen habe, aber manche Entscheidung sei nicht nachvollziehbar. In Stuttgart hätte man es lieber gesehen, wenn der Bund andere Prioritäten gesetzt hätte. Der Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler (SPD) sagt, er könne über den Vorschlag nur den Kopf schütteln. Auf der Esslinger Gemarkung sei der Ausbau überhaupt nicht realisierbar, es sei denn, so Drexler ironisch, „man verlagert Esslingen auf den Neckar“. Einen solchen Vorschlag könne nur jemand machen, der die örtlichen Verhältnisse nicht kenne.

Der Albaufstieg und die B 10 bis Geislingen

Mit sehr gemischten Gefühlen sind auch im Kreis Göppingen die Zielsetzungen des Bundesverkehrswegeplans aufgenommen worden. Beifall gibt es für die Priorisierung des A-8-Albaufstiegs als sogenanntes „fest disponiertes Projekt“. Die Pläne zum Weiterbau der B 10 lediglich bis Geislingen-Mitte werden allerdings kontrovers bewertet. Während die CDU darin „eine frohe Botschaft aus Berlin“ erkennt und den Bundesverkehrsminister lobt, Wort gehalten zu haben, fordert der Landrat Edgar Wolff angesichts des drohenden Flaschenhalses die Aufnahme der gesamten Strecke von Gingen bis Geislingen-Ost in den „Vordringlichen Bedarf“. Auch die SPD bezeichnet die Berliner B-10-Entscheidung als völlig unbefriedigend, weil Geislingen nicht in einem Zug entlastet werden kann.

Der umstrittene Nordostring

Der Nordostring taucht – wie der achtspurige Ausbau der A 81 zwischen Pleidelsheim im Kreis Ludwigsburg und Stuttgart-Zuffenhausen – unter der Überschrift „Weiterer Bedarf“ (WB) auf. Zu dieser Kategorisierung heißt es im Bundesverkehrwegeplan: „In die Dringlichkeitskategorie WB werden Vorhaben eingestuft, denen ein grundsätzlicher verkehrlicher Bedarf zugeschrieben wird, deren Investitionsvolumen jedoch den voraussichtlich bis 2030 zur Verfügung stehenden Finanzrahmen überschreitet.“ Da schon unsicher ist, ob alle Projekte, die in wichtigere Kategorien eingestuft sind, finanziert werden können, gilt diese Einordnung als moderne Form des Kanzleitrosts. Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel sieht das so: „Damit dürfte der Nordostring keine Realisierungschance haben.“ Das Projekt gehöre aus dem Plan gestrichen.

Das verlangt auch der Fellbacher Oberbürgermeister Christoph Palm (CDU), der mit „völligem Unverständnis auf diesen unsinnigen Wiederbelebungsversuch“ reagiert: „Wie kann man nur so halsstarrig an einer absolut unrealistischen Idee festhalten, die den Befürwortern unberechtigte Hoffnungen, den Gegnern und der Fellbacher Bevölkerung unnötige Sorgen und denjenigen, die einen Konsens für eine verträgliche Lösung suchen, das Verhandeln schwer bis sogar unmöglich machen?“, sagte Palm. Die Stadt Fellbach werde ihre Ablehnung in der jetzt beginnenden Anhörung deutlich machen. Dazu rief Palm auch die Fellbacher Bevölkerung auf.

Die ohnehin schon kuriose Geschichte des Nordostrings wird damit um ein weiteres Kapitel reicher. Das grün geführte Landesverkehrsministerium hatte den Nordostring nämlich gar nicht zur Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan vorgeschlagen. Es favorisiert den Bau einer neuen Neckarbrücke bei Remseck mit der Anbindung an das bestehende Straßennetz. Dennoch hatte der Bund wohl auf Anregung einiger CDU-Abgeordneter und führender Regionalpolitiker den Nordostring weiter untersucht, die Baukosten auf rund 210 Millionen Euro beziffert und nun auch in den Plan aufgenommen.

Die mehrspurige Straßenverbindung ist seit Jahren umstritten: Die IHK, die CDU, die Freien Wähler und die FDP fordern den Bau; SPD und Grüne, Umweltverbände und die Städte Stuttgart und Fellbach sind dagegen. Der Streit könnte nun wieder aufleben – bei der Debatte über den Regionalverkehrsplan und bei der Bildung einer neuen Landesregierung. Ein weiteres, von der Region favorisiertes Projekt, die Filder-auffahrt von der B 10 im Neckartal zur A 8 auf den Fildern, ist im Entwurf des Bundesverkehrswegeplans nicht enthalten.