Wegen der hohen Zahl von Covid-19-Infektionen im Parlamentsbetrieb hat der Präsident des Europa-Parlaments, David Sassoli, die Abgeordneten gebeten, nicht persönlich nach Brüssel zu kommen. Dagegen regt sich Widerstand.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Das Europa-Parlament ist von den Folgen der Pandemie härter getroffen als alle anderen Volksvertretungen. Während in anderen Häusern Abstandsregeln gelten, ist im Europa-Parlament der Betrieb per Verordnung von Parlamentspräsident David Sassoli am 27. Oktober auf Eis gelegt worden. Zutritt zum Plenarsaal haben nur noch Abgeordnete, die in einer bestimmten Debatte das Rederecht haben. Der Beschluss Sassolis führt dazu, dass im Plenum, das ohnehin seit März nur noch in Brüssel und nicht mehr an seinem Hauptsitz in Straßburg tagt, nicht mehr Anwesenheitslisten für die Abgeordneten ausgelegt werden.

 

Sassoli kann die Abgeordneten zwar nicht daran hindern, das Parlamentsgebäude zu betreten und ihre Büros aufzusuchen. Aber, die Arbeit in den Ausschüssen und im Plenum ist schwer beeinträchtigt. Viele der 703 Abgeordneten verfolgen seit Monaten die Plenarsitzungen nur noch vom Bildschirm zu Hause aus. In die Debatte einklinken können sie sich nur bedingt. Abgestimmt wird in zeitraubenden Verfahren auf die Ferne.

Rederecht verweigert

Gegen diese Praxis formiert sich jetzt der Protest der Volksvertreter. Angeführt wird er von einer Gruppe, die nicht gerade für ihren rebellischen Geist bekannt ist: die 29 Abgeordneten der deutschen Christdemokraten. In einem Schreiben von Daniel Caspary (CDU), das unserer Zeitung vorliegt, fordert der Chef der CDU/CSU-Gruppe „Debatten unter physischer Präsenz aufrechtzuerhalten“. Mit Blick auf den europäischen Corona-Hotspot Belgien schreibt er: „Soweit uns bekannt ist, treffen sich auch andere Parlamenten in Brüssel weiterhin in Anwesenheit.“

Am Mittwoch, dem ersten Sitzungstag im November, eskalierte der Konflikt. Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber wollte nach der Eröffnung des „Mini-Plenums“ das Wort ergreifen. Sassoli war aber nicht bereit, den Wirtschaftsexperten reden zu lassen. Geistesgegenwärtig meldete sich Ferber wenig später zur Tagesordnung zu Wort und hielt eine Suada gegen Sassoli. Der Sozialist aus Italien komme seiner Verantwortung als oberster Repräsentant des Hauses nicht nach. „Sie haben Privilegien“, schimpfte Ferber. „Sie haben einen Fahrer, während wir uns mit dem ÖPNV bewegen müssen.“ Sassoli behindere die Arbeit des Parlamentes, er kassiere zudem jeden Tag Sitzungsgelder, während die Abgeordneten wegen seiner, so Ferber „rechtswidrigen“ Verordnung. leer ausgingen.

Parlamentarische Arbeit stockt

Sassoli rechtfertigte sich so: Wegen Hunderter Ansteckungsfälle unter dem Dach des Europa-Parlament habe das Präsidium die Maßnahmen getroffen, um den Parlamentsbetrieb zu schützen. Bis auf weiteres würden daher keine Listen ausgelegt. Hintergrund ist, dass die Abgeordneten nur dann Anspruch auf die Erstattung der Fahrtkosten nach Brüssel (53 Cent je Kilometer bei der Fahrt im Privat-Pkw) sowie das Tagegeld in Höhe von 323 Euro haben, wenn sie sich in den Listen eintragen. Wenn keine Listen da sind, können sie sich auch nicht eintragen und gehen also leer aus.

Die Abgeordneten betonen, dass die Sacharbeit im Online-Modus schwer leide. Am Beschluss des Europa-Parlaments zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU etwa seien nur sieben Parlamentarier beteiligt gewesen.

Ferber sagt: „Das Signal ist eindeutig: Er will uns hier nicht sehen.“ Der Jura-Professor und CDU-Abgeordnete aus Hessen, Sven Simon, sagt: „Sassolis Beschluss vom 27 Oktober entbehrt jeder rechtlichen Grundlage.“ Und Arbeitsmarktexperte Dennis Radtke (CDU) warnt vor dauerhaftem Schaden für das Europa-Parlament durch diesen „Akt der Selbst-Delegitimierung“: „Was für ein verheerendes Signal sendet eine Institution aus, um deren Ruf es ohnehin nicht so gut bestellt ist, wenn sie in einer der schwersten Krisen der Geschichte der EU die Türen schließt?“