Bis Ende 2014 will die Bundeswehr den Kampfplatz am Hindukusch verlassen. Logistisch ist dies eine Mammutaufgabe. Selbst wenn alles glatt läuft, sind aus dem Abenteuer Afghanistan viele kritische Lehren für künftige Einsätze zu ziehen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Kundus - Der Abzug aus Afghanistan hat längst begonnen. Erst Anfang 2015 soll die Isaf-Mission erledigt sein, doch schon jetzt startet kein Flugzeug mehr Richtung Heimat, ohne Ersatzgerät mitzunehmen. 500 Container und 50 Fahrzeuge wurden seit Januar in die Heimat gebracht. Die Großinventur läuft, denn wie bei einer großen Familie wurde das Haus in mittlerweile zehneinhalb Jahren schier wahllos voll gestopft. Nun lautet die Parole: „aggressive housekeeping“.

 

Auf langen Tabellen halten die Logistiker fest, was heimgebracht werden muss und was im Lande bleiben kann. Fünf Dutzend der derzeit 4600 Soldaten machen nichts anderes als Bestandsaufnahmen. Wie bei einem Haushaltsumzug wird entrümpelt, was die Soldaten nicht mehr brauchen. Mitunter ist es wirtschaftlich günstiger, ausrangiertes Gerät den Afghanen zu überlassen. Grob geschätzt werden mehr als 6000 Seecontainer benötigt, um die Ausrüstung vom Lazarett über Computer, Bettgestelle und Fitnessgeräte bis zum Inventar der Betreuungseinrichtungen zu verstauen.

Es gibt keine Angaben über die Gesamtkosten den Abzugs

Aussagen über die Gesamtkosten des Abzugs werden nicht gemacht. Bei seinem jüngsten Besuch in Kundus sagte Verteidigungsminister Thomas De Maizière, dass vor dem Herbst keine Schätzung möglich sei. Auch der genaue Zeitplan wird nicht vorher fertig sein. Die Container sollen zumeist auf Eisenbahnwaggons durch Usbekistan, Kasachstan und Russland in die Heimat gelangen. Da die insgesamt 1700 Fahrzeuge keineswegs im Konvoi die 5000 Kilometer lange Rückkehr bewältigen können, werden auch sie teilweise per Bahn transportiert. Deutsche Geschützfahrzeuge gestatten die Russen allerdings nicht auf ihrem Terrain – Schmiergelder zur rascheren Abwicklung hingegen werden auf dem Landweg überall gern genommen.

Ohne den Einsatz internationaler Speditionen ist das Projekt nicht zu stemmen. Mangels eigener Lufttransporter muss die Bundeswehr auf zivile Frachtflugzeuge vom Typ Antonow oder Iljuschin zurückgreifen. Die Riesenflieger gehören meist russischen Anbietern. Je Flug können sie bis zu 300 000 Euro verlangen, denn die weltweiten Kapazitäten sind knapp.

Die Öffnung Pakistans macht den Landweg leichter

Gut, dass die pakistanische Regierung Mitte voriger Woche die Versorgungsrouten für die Nato-Truppen wieder geöffnet hat – wenn auch unter Protest von Tausenden Islamisten. Diese Maßnahme erleichtert den Zugang zum Arabischen Meer. Der Seeweg scheint bei schwerem Gerät die günstigste Transportvariante zu sein. „Wir werden jetzt schnell Verträge schließen müssen“, sagt Ulrich Kirsch, Chef des Bundeswehrverbandes. Pakistan werde erkennen, dass es mit dem Abzug viel Geld verdienen kann, wenn es verlässlich sei. Um den Aufständischen kein Angriffsziel zu bieten, mahnt er, den Abzug über mehreren Routen abzuwickeln und von Kampfverbänden schützen zu lassen.

Fortgeschritten ist der Abbau des Camps Faisabad in der nordöstlichen Provinz Badakhshan. Vor zwei Jahren hielten hier mehr als 400 Bundeswehrsoldaten die Stellung. Nun werden Zelte und Sanitärcontainer abgebaut; die Kantine mutiert zur Feldküche, die bald nur noch die berüchtigten Einmannpaketen (Epa) ausgeben wird. Auf Tiefladern rollt das Material zunächst nach Masar-i-Scharif, dem großen Umschlagplatz. Spätestens im Oktober soll das Camp geräumt sein und den Partnern überlassen werden.

In Kundus sind jetzt die Afghanen verantwortlich

Mitte voriger Woche hat die Bundeswehr in Kundus die Verantwortung an die Afghanen übergeben. Davon berührt sind neben der Stadt fünf der sechs Distrikte in der gleichnamigen Provinz. Die afghanischen Kräfte seien in der Lage, eigenständig die Sicherheit zu garantieren, sagt der Isaf-Kommandeur im Norden, General Erich Pfeffer. Von einer erneuten Frühjahrsoffensive der Taliban ist demnach wenig zu spüren. Nachdem die Afghanen ihre Sollstärke erreicht haben und immer besser geworden sind, hat sich die Lage soweit stabilisiert, dass in sechs von neun Provinzen des deutschen Zuständigkeitsbereichs keine ständige Isaf-Präsenz mehr nötig ist.

Es sei zwingend erforderlich, ein eigenes Bundestagsmandat für die logistische Herkules-Aufgabe des Abzugs zu schneidern, sagt Kirsch. Diverse Verteidigungsexperten sehen es ähnlich, handelt es sich bei der Rückverlegung doch um eine eigenständige Operation, die eng mit 16 anderen Nationen abgestimmt wird. Das bedeutet aber auch, mehr Personal bereitzustellen – möglicherweise bezahlt aus dem allgemeinen Bundeshaushalt. Bisher ist dafür noch kein Geld eingeplant worden.

Eine Folgemission ist schon beschlossen

Was die Zukunft bringt, ist offen. Sicher scheint: Auch nach 2014 werden Soldaten am Hindukusch stationiert sein. Auf dem Nato-Gipfel Mitte Mai in Chicago wurde bereits eine Folgemission mit erheblich weniger Streitkräften beschlossen. Geplant ist eine Nato-Operation mit 10 000 bis 30 000 Soldaten, die hauptsächlich der Ausbildung einheimische Offiziere dient. Details blieben offen. Die US-Truppen könnten – womöglich aber nicht mehr unter Nato-Flagge – weiterhin Terroristen bekämpfen.

Der Bundeswehrverband verlangt auch ein Mandat für das Zivilpersonal, das von 2015 an den Wiederaufbau begleitet. Ungeklärt ist ebenso, was mit den afghanischen Mitarbeitern der Deutschen – den Chauffeuren, Übersetzern und Arbeitern – passiert. Diese bis zu 3000 sogenannten Ortskräften werden zwar gut bezahlt, fürchten aber um ihr Leben und das Wohl ihrer Familien, weil sie von den Taliban als Verräter angesehen und bestraft werden könnten. Angeblich werden sie schon bedroht. Die Bundeswehr kann es sich kaum leisten, diese Mitarbeiter ohne finanzielle Hilfen für einen Neustart im Nachbarland oder gar ohne Einreisevisa für Deutschland ihrem ungewissen Schicksal zu überlassen.