In der Zeit bis Weihnachten öffnen wir jeden Tag ein Türchen zu einem interessanten Ort in der Region Stuttgart. Am 17. Dezember schauen wir hinter die Kulissen der Crashhalle im Mercedes-Werk in Sindelfingen.

Sindelfingen - Drei, zwei, eins: Crash. Mit 64 Stundenkilometer fährt der mattorange lackierte Mercedes in einer gigantischen Halle gegen einen tonnenschweren Betonblock – mit voller Absicht. Denn im neuen Technologiezentrum Fahrzeugsicherheit (TFS) im Mercedes-Werk in Sindelfingen wird bei Crashtests die Sicherheit von neuen Mercedes-Modellen getestet.

 

Nur 120 Millisekunden, so lange wie ein Wimpernschlag, dauert der eigentliche Aufprall. Mehrere spezielle Kameras in der Halle – unter einer Glasplatte im Boden und im Wagen selbst – filmen mit 1000 Bildern pro Sekunde den Aufprall. Die Aufnahmen geben am Ende nicht nur Aufschluss darüber, wie sich der Wagen bei einem Unfall verhält, sondern auch, was mit den Insassen geschieht.

Die Insassen bei Crashtests sind Messpuppen, künstlich nachgebaute Menschen voller Technik und Sensoren. Die Auswahl der insgesamt 120 Dummys, die fein säuberlich aufgereiht in einem Nebenraum der Halle sitzten, reicht vom Neugeborenen bis hin zum erwachsenen Mann mit einem Gewicht von 100 Kilogramm. Aber nicht jeder Dummy ist für jeden Test geeignet. Für den Unfall mit einem Seitenaufprall gibt es Dummys mit einer speziellen Rippenkonstruktion oder für den Heckaufprall mit besonderen Messpunkten im Nacken.

Die neuste Generation von Dummys kostet so viel wie ein Einfamilienhaus

Vor jedem Versuch werden die Dummys genauestens untersucht. Stimmen die Messpunkte? Funktionieren die Sensoren? Ist alles noch ganz? Die neuste Generation der Crashtest-Dummys heiße Thor und koste so viel wie ein Einfamilienhaus in guter Lage in Stuttgart. Ausgestattet mit 220 Messstellen statt den vorherigen 70, einem feineren Messverfahren und einem menschenähnlicheren Aufbau, soll Thor noch mehr Aufschluss über die Folgen eines Unfalls geben.

Insgesamt fünf Arbeitstage dauern die Vor- und Nachbereitungen so eines Versuchs. Bevor der Wagen von einem Seilzug beschleunigt und gegen den Betonblock oder gegen ein anderes Fahrzeug gefahren wird, müsse alles aufgebaut, die Dummys in Position gebracht, die Messgeräte überprüft und die exakte Temperatur erreicht werden. „Da die Messtechnik sehr temperaturabhängig ist, müssen die Wagen vor jedem Crash erst über Nacht auf die vorgegebenen 20 bis 22 Grad Celsius gebracht werden“, erklärt Norbert Schaub, Gesamtprojektleiter TFS. Nach dem Aufprall hat der Wagen seine Aufgabe erfüllt und wird verschrottet. Für die Mitarbeiter hingegen geht die eigentliche Arbeit erst los. Bis zu zehn Tage könne es dauern, ehe die Daten ausgewertet, überprüft und freigegeben seien.

Die Daten sind wichtig für viele unterschiedliche Abteilungen, die auf den ersten Blick nichts mit Fahrzeugsicherheit zu tun haben. Die Ergebnisse hätten einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Karosserie, der Innenverkleidung bis zu den Sitzen. Beim Thema Sicherheit müssten eben alle eng zusammenarbeiten, erläutert Matthias Struck, Experte für Fahrzeugsicherheit bei Mercedes-Benz.

Vom Smart bis zum Lastwagen wird alles gecrasht

Getestet werden hauptsächlich Prototypen, die erst in einigen Jahren auf den Markt kommen und noch gar nicht in der Produktion sind. So werden schon frühzeitig mögliche Fehler erkannt. Das spare hohe Kosten und Ausbesserungen im Nachhinein, so Schaub. Dabei ist der Test eine der letzten Stationen. Zuvor wurden alle Sicherheitsaspekte bereits virtuell durchgespielt. „Der Crashtest dient auch zur Bestätigung dessen, was wir vorher schon mehrfach am Computer simuliert haben. Damit stellen wir sehr früh einen relativ hohen Reifegrad sicher, sogar bei einem Prototypen, der zum ersten Mal gecrasht wird“, erklärt Struck. Vier bis fünf solcher Tests findet pro Tag statt. Gecrasht wird vom Smart bis zum Lastwagen – die gesamte Produktpalette von Mercedes.

Lesen Sie hier alle Teile des Adventskalenders.

Der Neubau bietet aber nicht nur die Möglichkeit, die Crashfahrzeuge auf den unterschiedlich langen Bahnen geradeaus fahren zu lassen, sondern auf der 90 mal 90 Meter großen und säulenfreien Fläche auch sogenannte Fahrzeug-Fahrzeug-Versuche durchzuführen. In unterschiedlichen Winkeln werden dabei zwei Wagen mit Geschwindigkeiten von 50 und 55 Stundenkilometer ineinander gefahren. Heute sind bereits mehr als 70 verschiedene Crashtest-Konfigurationen möglich. In Zukunft könne man dank des autonomen Fahrens sogar noch mehrere Unfallsituationen abbilden. Dann sei es sogar möglich, Kurvenfahrten zu crashen, verschiedene Fahrmanöver abzubilden oder sogar die Wagen ins Schleudern zu bringen, erklärt der Experte.

Reale Unfälle sind nur schwer rekonstruierbar

Neuste Entwicklungen, Technologien und moderne Crashtests machen das Autofahren immer sicherer und Warnsysteme können sogar dafür sorgen, dass es gar nicht erst zu einem Unfall kommt. Dennoch können auch die Autobauer von Mercedes die Gefahren im Straßenverkehr nicht ganz ausschalten: „Jeder Unfall hat seine Geschichte, deshalb untersuchen wir immer auch reale Unfälle und gleichen sie mit dem ab, was wir hier testen. Unser Ziel ist es, unsere Fahrzeuge für das wirkliche Unfallgeschehen auszulegen“, sagt Schaub.

Wie so ein Crashtest aussieht, sehen Sie im Video von Mercedes-Benz: