Am Tag des Mursi-Besuchs in Berlin haben Experten in Stuttgart über die Wirtschaftslage am Nil diskutiert.

Stuttgart - Katrin Gaedke ist ehrlich. Sie sei in Ägypten, um Geld zu verdienen, sagt sie. Dass dies zurzeit für eine Geschäftsfrau aus dem Westen möglich ist, erstaunt die Zuhörer beim Wirtschaftstag Ägypten in der Stuttgarter Jugendherberge. Zu laut sind die Kassandrarufe vom drohenden Bürgerkrieg am Nil auch und gerade am Tag des Staatsbesuchs von Präsident Mohammed Mursi in Berlin.

 

Doch die Geschäftsführerin des Softwareunternehmens Pharos Solutions betrachtet die Dinge nüchtern mit den Augen einer Investorin. Der Standort Ägypten eigne sich nicht nur aufgrund seiner geografischen Lage an der Grenze Afrikas und Asiens und in der Nähe Europas für das globale Dienstleistungsgewerbe. „Die jungen Menschen in Ägypten sind gut ausgebildet“, sagt Gaedke, und die Mühlen der Bürokratie mahlen nicht langsamer als anderswo. Sogar Firmen aus Indien ließen sich vermehrt in Kairo nieder. Wohl auch, weil die Löhne am Boden liegen, entgegnet ein Zwischenrufer aus dem Publikum. Gaedke betont, dass sie und ihre ägyptischen Partner in ihrem Softwareunternehmen anständige Löhne zahlen würden.

Die Softwarebranche sitzt im Wohlstandsviertel

Software „made in Egypt“, das gibt es tatsächlich. Der Ägypter Mustafa Nawito arbeitet an der Universität Stuttgart. Er schildert mit Begeisterung, wie auch in politisch turbulenter Zeit ägyptische Unternehmen mit Hightechprodukten Erfolg am Weltmarkt haben. Sie heißen Si-Ware oder MIPEX und repräsentieren ein Ägypten, das Dimensionen entfernt zu sein scheint von den Tränengasschwaden über dem Tahrir-Platz: Heliopolis, Kairos Viertel für die Wohlhabenden, beherbergt in seinen Glaspalästen auch die ägyptische Softwarebranche. Dass der Fortschritt in Ägypten beschränkt auf ein Kairoer Stadtviertel vorankommt, weiß auch Mustafa Nawito. Er spricht von Leuchttürmen, von denen ein wirtschaftlicher Aufschwung ausgehen könnte.

Doch die Probleme des ägyptischen Präsidenten liegen in den Elendsquartieren der Millionenmetropole Kairo und der anderen Städte. Gerade bei den Armen haben die Islamisten an Zuspruch verloren. Denn der Lebensstandard weiter Bevölkerungsteile ist nach der Machtübernahme Mursis nicht gestiegen, sondern befindet sich im freien Fall. Sieghard Bender von der IG Metall Esslingen weist darauf hin, dass die ägyptische Revolution vor allem eine soziale Bewegung für Teilhabe und ein besseres Leben der breiten Bevölkerung war. Mursi und die Muslimbrüder werden verantwortlich gemacht für die Wirtschaftsmisere und den Zusammenbruch des einst florierenden Tourismus. Ob er dieser Analyse zustimmt, verrät er nicht. Doch er macht klar, dass aus seiner Sicht dem Präsidenten und seinen islamistischen Anhängern die schlimmste Konfrontation noch bevorstehen könnte. „Mursi will Kredite vom Internationalen Währungsfonds. Wenn er dafür die Brotsubventionen antastet, dann gibt es eine soziale Explosion.“

Auch der Gewerkschafter sieht in Ägypten großes Potenzial

Bender versucht, mit Spenden von Betriebsräten exemplarisch der Spaltung in Arm und Reich etwas entgegenzusetzen. Er setzt sich für eine duale Ausbildung junger Ägypter in Handwerkberufen ein und hat bereits eine Ausbildungswerkstatt in Oberägypten auf den Weg gebracht. Trotz aller Besorgnis über die aktuelle Entwicklung sieht auch er ein großes Potenzial für das Land am Nil. „Die Hotels, mit denen wir gesprochen haben, brauchen dringend ägyptische Fachkräfte“, sagt Sieghard Bending.

Ob der Fremdenverkehr, der meist ein von westlichen Ketten organisierter Massentourismus ist, letztlich Fluch oder Segen für Ägypten ist, wurde im eher im Publikum diskutiert als von den Referenten. Der Orientalist und Reiseleiter Bruno Sandkühler wies darauf hin, dass Ägypten mehr in die Infrastruktur investieren müsse. Der Orientalist wagte als einziger Referent einen Kommentar zur politischen Lage in Ägypten. Den säkularen Kräften warf er eine Blockadehaltung vor, die zur derzeitigen Polarisierung geführt habe. Eine Lösung, wie die Gräben zwischen den Lagern wieder geschlossen werden könnten, hatte er aber auch nicht.