Weltweit wird nach dem Todesurteil gegen den früheren ägyptischen Präsidenten Mursi Kritik laut. Anfang Juni wird eine endgültige Entscheidung erwartet. Das Urteil deutet auf große Spannungen innerhalb des ägyptischen Machtkartells hin.

Kairo - Das Todesurteil gegen den vom Militär gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi und 105 Mitangeklagte hat international scharfe Reaktionen ausgelöst. „Wir sind tief besorgt“, erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums und kritisierte erneut „die Praxis von Massenprozessen und Massenurteilen, die unvereinbar sind mit Ägyptens internationalen Verpflichtungen und einem Rechtsstaat“. Außenminister Frank-Walter Steinmeier verlangte eine Überprüfung, ob der Richterspruch nach Recht und Gesetz gefallen sei. „Für uns ist das in Deutschland eine Form der Strafe, die wir kategorisch ablehnen“, sagte er in der jordanischen Hauptstadt Amman.

 

Amnesty International nannte den Prozess „grotesk unfair“ und den Richterspruch einen Beleg für „den kläglichen Zustand der Strafjustiz im Land“. Die Todesstrafe sei zum Lieblingswerkzeug der ägyptischen Mächtigen geworden, um die politische Opposition zu eliminieren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte, Ägypten kehre zu alten Zeiten zurück und warf den westlichen Staaten vor, den Militärputsch von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi zu ignorieren.

Sisis heikle Reise nach Deutschland

Nach ägyptischem Recht müssen die Todesurteile dem ägyptischen Obermufti vorgelegt werden, der als Scharia-Experte ein Beratungsrecht hat. Es kann in einem Revisionsprozess angefochten werden. Das Gericht warf den Angeklagten vor, die zu Beginn des Arabischen Frühlings festgenommen worden waren, mit rund 20 000 Kriminellen am 28. Januar 2011 aus dem Gefängnis ausgebrochen zu sein.

Sollte das endgültige Todesurteil gegen Mursi am 2. Juni verkündet werden, wäre das ein Tag vor dem Staatsbesuch von Präsident Sisi in Deutschland. Die heikle Reise, für die die ägyptische Führung monatelang antichambriert hat, ist in Berlin schon jetzt wegen der krassen Menschenrechtsverstöße des Regimes umstritten. Das Mursi-Todesurteil wird die innenpolitischen Spannungen weiter eskalieren lassen. In den ersten drei Monaten 2015 erlebte Ägypten genauso viele Anschläge wie im gesamten Jahr 2014. Am Samstag erschossen Terroristen auf dem Sinai zwei Richter und einen Staatsanwalt. Am Sonntag ließ die Justiz in Kairo sechs Männer hinrichten, die von einem Militärgericht zum Tode verurteilt worden waren, obwohl zwei von ihnen zum Zeitpunkt der ihnen zur Last gelegten Terrortaten im Gefängnis waren.

Fast 6000 angebliche Terroristen verhaftet

Die Härte des Mursi-Urteils deutet aber auch darauf hin, dass sich die Konflikte innerhalb des Machtkartells von Kairo verschärfen. Denn mit ihrem Vorgehen untergräbt die Justiz demonstrativ die Bemühungen Sisis, Ägypten in Europa wieder salonfähig zu machen. Auch hat der Präsident inzwischen in zahlreichen Interviews versprochen, sich für die Haftentlassung junger Demokratieaktivisten einzusetzen, ohne dass tatsächlich etwas geschieht. Im Januar geriet Sisi nach der Erschießung der Demonstrantin Shaimaa al-Sabagh durch die Polizei mit dem damaligen Innenminister Mohamed Ibrahim aneinander und forderte ihn direkt zum Rücktritt auf. Mohamed Ibrahim jedoch weigerte sich, so dass Sisi seine Absetzung erst sechs Wochen später in einer größeren Kabinettsumbildung durchsetzen konnte.

Seitdem häufen sich in auffälliger Weise polizeikritische Berichte in der ansonsten regimetreuen Presse. Das willkürliche Vorgehen der Sicherheitskräfte jedoch ist ungebrochen. Allein in den Monaten Januar bis April wurden nach Angaben der unabhängigen „Tahrir Institute for Middle East Policy“ fast 6000 Menschen als angebliche Terroristen verhaftet. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Gefangenen seit dem Sturz von Mursi auf mehr als 41 000, darunter Frauen und Minderjährige. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden bisher mehr als hundert Menschen in Verhören zu Tode gefoltert.