Nach 30 Jahren soll ein Platz im Gerberviertel einen eigenen Namen bekommen. Bei der Benennung fühlen sich Anrainer übergangen. Im Zentrum des Konfliktes: eine Politikerin, der bekannteste Maler Luxemburgs und eine Zeitgenössin Goethes.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - In Stuttgart geschehen seltsame Dinge: Auf einem Baum im Gerberviertel macht eine Krähe Hühnergeräusche. Das klingt wie eine Mischung aus Gackern und Lachen und ist ein wenig befremdlich, doch Cornelia Silbermann beruhigt: Der seltsame Vogel ist im Viertel bekannt.

 

Für eine Goldschmiedin trägt Silbermann einen poetischen Nachnamen. Von Krähen auf Identitätssuche lässt sie sich nicht irritieren. In ihrem Geschäft Lix diskutiert sie mit ihrem Nachbarn Roland Schauls, wer das zweitälteste Gewerbe der Welt ausführt: sie, die Goldschmiedin, oder er, der Maler. Schauls, geboren in Luxemburg, hat in Stuttgart an der Kunstakademie studiert. 1996 hat er das Haus, um das es in dieser Geschichte geht, gekauft. Seitdem pendelt er zwischen dem Großherzogtum und der Landeshauptstadt.

Das Einfamilienhaus ist eine gespaltene Persönlichkeit

Das Einfamilienhaus aus dem 19. Jahrhundert ist in Bezug auf seine Anschrift eine gespaltene Persönlichkeit: Das Lix liegt an der Christoph-, Schauls Atelier an der Gerberstraße. Schauls und Silbermann wünschen sich ein Ende der Postadressen-Schizophrenie und eine Benamung des kleinen Platzes vor der Türe. Die gute Nachricht: das soll nun geschehen. Die Schlechte: Schauls, Silbermann und andere fühlen sich bei der Taufe übergangen.

Der Boden in Schauls Atelier sieht aus, als wäre er von Jackson Pollock gestaltet worden, so viele Farbtupfer liegen dem Besucher zu Füßen. Schauls hat dafür gerade keinen Blick, er schimpft wie ein Rohrspatz über Veronika Kienzle, in deren Bezirksbeirat Mitte für den neuen Namen gestimmt wurde. „Wo sind die nur hingekommen, die Grünen, mit uns hat keiner geredet.“ Geht es nach dem Willen der Stadt, heißt das Plätzchen, um das jetzt gestritten wird, bald Therese-Huber-Platz.

Der Honorarkonsul von Luxemburg feiert seinen Einstand

Huber war eine der bekanntesten Autorinnen der Goethezeit. Als erste deutsche Berufsjournalistin gab sie für Johann Friedrich Cotta in Stuttgart ab 1816 das „Morgenblatt für gebildete Stände“ heraus. Nachdem Ehemann eins und zwei gestorben waren, ernährte sie ihre Kinder als alleinerziehende Redakteurin.

Gegen die Lebensleistung von Huber hat Roland Schauls nichts einzuwenden, er hält seinen Namen für den Platz aber für besser: „Wir finden, die Bezeichnung ,Am Nesi’ illustriert die jahrelange Gleichgültigkeit gegenüber dieses am Nesenbachufer gelegenen Platzes“, sagt Schauls, in dessen Atelier am Donnerstag Wolfgang Kuhn, Vorstand der Südwestbank, seinen Einstand als Honorarkonsul des Großherzogtums Luxemburgs feiert.

Die Taufe des Platzes wird erst einmal verschoben

Die Eingeladenen sind handverlesen, Schauls hat einen Kühlschrank mit AC/DC-Aufdruck besorgt, um den Pinot Blanc von der luxemburger Mosel zu kühlen. Für einen Moment ist der Ärger um die Platzbenennung vergessen, Schauls versucht, Parallelen zwischen Stuttgart und Luxemburg zu erklären: „Beides war Provinz, beides ist besser geworden.“ Außerdem seien Stuttgarter und Luxemburger ähnlich geschickt, wenn es darum ginge, Geld zu verstecken. Zum Abschied schimpft Schauls aber wieder über die Platz-Benennung.

Der Protest des Malers und seiner Mitstreiter hat gewirkt. Veronika Kienzle kann zwar nicht ganz verstehen, wieso man sich nicht darüber freut, dass der Platz nach 30 Jahren einen Namen hat. Sie hat die „ernsthafte Intervention“ nun aber zum Anlass genommen, den für Oktober geplanten Festakt zur Benamung verschieben zu lassen. „Wir wollen zunächst eine Gesprächsrunde mit den Anwohnern veranstalten.“ Wer weiß: Vielleicht malt Roland Schauls ja bis dahin ein Therese-Huber-Porträt. Und vielleicht erscheint zur Diskussion auch die gackernde Krähe wieder. Zur Auflockerung würde das nicht schaden.