Was schon seit Jahren auf dem Land gilt, trifft nun auch die Städte. Es gibt zu wenig Mediziner, die sich mit einer eigenen Praxis selbstständig machen wollen. Leinfelden-Echterdingen will hier ganz gezielt gegensteuern.

Wer zurzeit einen neuen Hausarzt sucht, kennt das Problem vermutlich. Viele Mediziner nehmen keine neuen Patienten mehr auf. „Es ist nicht mehr garantiert, einen Hausarzt zu bekommen“, erklärt Bürgermeister Carl-Gustav Kalbfell. Die Stadt Leinfelden-Echterdingen möchte deshalb mit einem Investitionskostenzuschuss gegensteuern. Ärzte, die eine Praxis in einem der Teilorte übernehmen wollen, sollen einen finanziellen Zuschuss für die Modernisierung der Praxen erhalten. Auch für eine neue Praxis, die als Ersatz für eine entfallende Praxis eröffnet wird, kann der Zuschuss beantragt werden. Insgesamt werden dafür zunächst 100 000 Euro bereitgestellt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Praxis mindestens zehn Jahre lang betrieben wird. Andernfalls müsste zumindest ein Teil der Zuschüsse zurückgezahlt werden.

 

Ganz neu ist die Idee nicht. Im ländlichen Raum werden die Wege zum nächsten Arzt bereits seit vielen Jahren immer länger. Auch dort wird versucht, mit finanziellen Anreizen junge Mediziner für eine Übernahme von Praxen zu gewinnen. Leinfelden-Echterdingen helfen die bestehenden Förderprogramme aber nicht weiter. „Bei den Landarztförderprogrammen fallen wir durch“, sagt Kalbfell augenzwinkernd. Deshalb wird die Stadt nun selbst tätig.

Stadt will das Problem nun selbst lösen

Am Ende wird das grundsätzliche Problem des Medizinermangels in Deutschland mit dem Balgen der Städte und Regionen um die zu wenigen Ärzte nicht gelöst. Dass die Kommune nun ein Problem lösen muss, für dessen Lösung sie weder zuständig noch verantwortlich ist, löste Unmut unter den Stadträten in Leinfelden-Echterdingen aus. Dem Verwaltungsvorschlag für den Investitionskostenzuschuss für neue Ärzte stimmte der Verwaltungs-, Kultur- und Sportausschuss trotzdem zu.

Der Stadt ist das Problem des Ärztemangels nicht allein durch Rückmeldungen aus der Einwohnerschaft bekannt. Auch aus der ortsansässigen Ärzteschaft erreichen entsprechende Botschaften das Rathaus. „Das mangelnde Interesse des Ärztenachwuchses an der Übernahme bestehender Hausarztpraxen bereitet dort große Sorgen“, berichtet die Stadtverwaltung. Einige der noch praktizierenden Ärzte werden in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Welcher Arzt wann genau plant, seine Praxis ab- oder aufzugeben, ist der Stadt aber nicht bekannt. Eine entsprechende Abfrage habe nur einen geringen Rücklauf gehabt, berichtete der Bürgermeister Kalbfell.

Hinzugezogene haben kaum Chancen

Eine Folge der angespannten Situation ist, dass vor allem neu Hinzugezogene kaum noch eine Chance haben, wohnortnah einen Hausarzt zu bekommen. Und die Patienten der bestehenden Praxen müssen teils lange Wartezeiten in Kauf nehmen, bis sie einen Termin bekommen, klagt die Stadt. Am Ende könnte die Gesundheit darunter leiden, wenn die Arztbesuche zu spät erfolgen. Verschärft wird die beschriebene Situation dadurch, dass die Zahl der Älteren wächst und diese Bevölkerungsgruppe mehr medizinische Versorgung benötigt als Jüngere.

Für junge Ärzte scheint das Model des selbstständigen Hausarztes aber nicht nur aus finanziellen Gründen nicht mehr besonders attraktiv zu sein. Eine weitere Idee zur Förderung der ärztlichen Versorgung in der Stadt ist es deshalb, die Rahmenbedingungen für sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu schaffen. In einem MVZ haben Ärzte die Möglichkeit, als Angestellte statt als Selbstständige zu arbeiten. Der Vorteil dabei sind geregelte Arbeitszeiten. Auch Urlaub und Krankheitszeiten der Ärzte sind in einem MVZ einfacher zu handhaben als in einer eigenen Praxis, weil in einem MVZ mehrere Ärzte arbeiten. Sie können sich gegenseitig vertreten. Darüber hinaus entfällt bei einer Anstellung in einem MVZ die Buchhaltung und einiges an Bürokratie, um das sich die niedergelassenen Ärzte selbst kümmern müssten. Gemäß einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung hat sich die Zahl der angestellten Ärzte von 2009 bis 2020 von 3400 auf 11900 mehr als verdreifacht. Bei den niedergelassenen Hausärzten stagnierten die Zahlen dagegen.

Hausärzte werden immer älter

Die Prognose
Eine Studie der Robert-Bosch-Stiftung prognostiziert, dass in Deutschland bis zum Jahr 2035 rund 11 000 Hausarztstellen unbesetzt sein werden. Das hätte zur Folge, dass 40 Prozent aller Landkreise unterversorgt wären oder von einer Unterversorgung bedroht wären. In mittelgroßen Städten wie Leinfelden-Echterdingen Städten könnte es bis 2035 etwa ein Fünftel weniger Hausärzte geben.

Die Belastung
Während im Jahr 2009 gerade einmal jeder 16. Hausarzt als Angestellter tätig war, war es im Jahr 2020 bereits mehr als jeder fünfte. Im Rahmen einer Umfrage unter Medizinstudenten gaben 95 Prozent der Befragten an, dass ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig oder sehr wichtig sei. Geregelte Arbeitszeiten waren 82 Prozent wichtig oder sehr wichtig. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von Inhabern einer hausärztlichen Praxis lag laut Praxis-Panel des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland zuletzt bei 50 Stunden. pib