Es soll eines der ersten sichtbaren Zeichen sein, dass Bund und Länder ihre Rückführungspolitik besser koordinieren. Doch der Charterflug nach Kabul mit abgelehnten Asylbewerbern löst Proteste nicht nur bei Grünen und Linken Kritik aus.

Berlin - Die Ankunft in der Hauptstadt Kabul ist für die frühen Morgenstunden dieses Donnerstag geplant gewesen. Am Mittwochabend sollte die Chartermaschine mit rund 50 abgelehnten Asylbewerbern aus Afghanistan vom Frankfurter Flughafen aus abheben. Eine offizielle Bestätigung des Bundesinnenministeriums gab es bis dahin nicht, allerdings nur um die Maßnahme, wie ein Sprecher in Berlin sagte, „nicht in ihrer Effizienz zu gefährden“. Schließlich soll die erste Sammelabschiebung dieser Größenordnung demonstrieren, dass die von Kanzlerin Angela Merkel angekündigte „nationale Kraftanstrengung“ bei Rückführungen erste Früchte trägt.

 

Am Abend startete dann von Frankfurt aus eine Chartermaschine der Fluggesellschaft Meridiana, in das zuvor Polizisten eingestiegen waren. Laut Flightradar24, einem Online-Dienst zur Beobachtung von Flugbewegungen in Echtzeit, flog die Maschine vom Typ Boeing 767 mit der Flugnummer IG 2080 von Frankfurt aus Richtung Osten.

Aktuell gelten gut 200.000 Menschen in Deutschland wegen abgelehnter Asylanträge als „ausreisepflichtig“, nach der zuletzt stark gestiegenen Zahl von Asylentscheidungen beim Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf) sollen es 2017 rund 500.000 sein. Von den Ausreisepflichtigen können jedoch auch wegen akuter Gefahr in ihren Heimatstaaten bisher rund drei Viertel nicht abgeschoben werden, weshalb sie den Status einer Duldung erhalten. Zugleich wird die Frage bedeutsamer, welche Herkunftsländer als sicher eingestuft werden.

Im Falle Afghanistans hat die Innenministerkonferenz der Länder Ende 2015 einen Abschiebestopp an den Hindukusch aufgehoben. Anfang Oktober wurde in Kabul ein Rücknahmeabkommen unterzeichnet, das nun die Basis des ersten größeren Abschiebefluges bildet. Potenziell betroffen sind nach Angaben des Innenministeriums 12359 ausreisepflichtige Afghanen. „Die Sicherheitslage in Afghanistan ist regional unterschiedlich“, sagte der Sprecher von Minister Thomas de Maizière am Mittwoch – so sollen aus Deutschland zurückkehrende Flüchtlinge in diesen vermeintlich sicheren Gebiete unterkommen.

Pro Asyl nennt die Abschiebungen „verantwortungslos“

„Einfach Menschen nach Kabul fliegen, ausladen und sie ihrem ungewissen Schicksal überlassen, ist verantwortungslos“, teilte dagegen Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl mit: „Die dort angeblich sicheren Gebiete sind nicht erreichbar und was heute angeblich sicher ist, ist es morgen nicht mehr.“ Allein die massive Erhöhung der Flüchtlingszahlen aus Afghanistan deutet auf die schwierige Lage hin – nach 26276 Asyl-Erstanträgen im vergangenen Jahr sind es im laufenden bereits 124909 gewesen, was nach Syrien Platz 2 auf der Liste der Herkunftsländer bedeutet. „Die Syrer flüchten vor Krieg und Terror, meine Landsleute aus Afghanistan auch“, sagte Sabour Zamani, der Vorsitzende des afghanischen Kommunikations- und Kulturzentrums in Berlin bei einer Protestaktion gegen die Sammelabschiebung vor dem Brandenburger Tor.

Lautstark sind auch die Proteste im Bundestag. Die Linksfraktion erinnerte am Mittwoch an ihre Forderung nach einem „Abschiebestopp“, Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von einem „unbarmherzigen Spiel“ de Maizières. Baden-Württembergs Grünen-Chef Oliver Hildenbrand äußerte die Erwartung, Innenminister Thomas Strobl vom Koalitionspartner CDU müsse verfügen, „dass Baden-Württemberg sich nicht an dieser Abschiebeaktion beteiligt“. Am Donnerstag steht in Berlin zudem die Verlängerung der Afghanistan-Mission „Resolute Support“ auf der Tagesordnung, wo auch das Thema Abschiebungen eine Rolle spielen dürfte.

Özoguz teilt die Bedenken vieler Bundesländer

Kritik daran äußerte auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. „Ich teile die Bedenken einiger Bundesländer, inwieweit Abschiebungen nach Afghanistan aktuell verantwortet werden können“, sagte Aydan Özoguz (SPD) dieser Zeitung. „Die freiwillige Rückkehr ist im Vergleich zur Abschiebung das sinnvollere Instrument“, sagte sie angesichts dessen, dass 2016 bereits knapp 3000 Afghanen mit finanzieller Förderung im Gepäck selbst zurück an den Hindukusch gereist sind: „Die geförderte freiwillige Rückkehr muss gestärkt werden.“ Eine generelle Absage an eine konsequentere Rückführungspolitik, die Bund und Länder derzeit auf den Weg zu bringen versuchen, will sie damit jedoch nicht verbunden wissen: „Wichtig ist, dass immer der Einzelfall gesehen werden muss beziehungsweise ausreichend geprüft ist. Nicht jede und jeder Geduldete kann nach Afghanistan abgeschoben werden.“