Mit „Africa Speaks“ gelingt dem Woodstock-Veteran Carlos Santana 50 Jahre nach seinem Debüt noch einmal ein großer Wurf.

Stuttgart - ie ein Naturereignis kommt dieses Album über die Hörer, wie eine Offenbarung aus höheren Sphären, deren Intensität man sich kaum entziehen kann. Der aus Mexiko stammende Carlos Santana taucht tief ein in die Quelle, aus der er stets geschöpft hat, und bekennt im Begleittext zur Platte: Die als „Latin“ bezeichneten Polyrhythmen, die seine Musik prägen, entstammen in Wahrheit der afrikanischen Musik.

 

Santana greift in die Saiten, als wäre es das letzte Mal, seine Frau Cindy Blackman am Schlagzeug und der Bassist Benny Rietveld entfachen einen rhythmischen Energiestrom, der die Gitarre trägt. Und die in Palma de Mallorca geborene Sängerin Concha Buika, deren Familie aus Äquatorialguinea stammt und die Soul wie Flamenco verinnerlicht hat, singt sich mit mächtiger, rauer Stimme und großer emotionaler Dringlichkeit die Seele aus dem Leib. Mächtig wirkt die Stimme der Latin-Grammy-Gewinnerin – dieses Album kann sie zum Star machen.

Santana hat sich Rubin gezielt ausgesucht

Wie Jimi Hendrix oder Mark Knopfler gehört Santana zu den Unverkennbaren, ein paar Gitarrentöne reichen und alle wissen: Das kann nur er sein. In fiebriger Unrast lässt er schwebende Klangwolken erblühen, er umgarnt den Gesang mit hingetupften Unterstreichungen, untermalt mit singenden Tönen und explodiert in seinen Soli förmlich. Das alles gehört zu Santanas Standardrepertoire, aber auf „Africa speaks“ erklingt es sehr pur, in einer Art Reinform – fast meint man, der Aufnahme live beizuwohnen. Das Album fällt die Hörer direkt an, direkter gar als das erste von 1969 – Santana ist sich selbst ähnlicher denn je.

Das verdankt er einem Produzenten, den er sich gezielt ausgesucht hat: Rick Rubin, ebenfalls ein Mann mit unverkennbarer Handschrift. Er hat in den 80er Jahren Rap und Rock vereint, Run DMC mit Aerosmith für „Walk this Way“, er hat den charakteristischen Sound der Red Hot Chili Peppers herausgearbeitet auf dem Album „Blood Sugar Sex Magik“ (1991) und acht Jahre später erneut beim Comeback mit „Californication“ (1999), er hat 1994 Johnny Cashs phänomenales Spätwerk initiiert und aufgenommen, die „American Recordings“. Santana, mittlerweile 71, arbeitet seit einiger Zeit an seinem Vermächtnis. Die Musiker seiner ersten Band, mit der er 1969 in Woodstock auftrat und seine ersten drei Platten einspielte, holte er 2016 ins Studio, um mit dem Album „IV“ den Bogen zurück zu schlagen. Mit Rubin nun wollte Santana wohl eine Art Quintessenz seines Schaffens festhalten.

49 Songs in zehn Tagen

Sagenhafte 49 Songs hat er in nur zehn Tagen aufgenommen – die elf auf dem Album sind seine stärksten Eigenkompositionen seit langem. Die Texte hat Concha Buika beigesteuert. Im Titelsong hält sie eine kurze Ansprache zu Afrika als „Wiege der Zivilisation“, weitere Titel lassen erahnen, dass der sanftmütige Pazifist Santana die feurige Sängerin auch deshalb ausgesucht hat: „Paraisos Quemados“ (verbrannte Paradiese) kommt leichtfüßig und funky daher, „Los invisibles“ (die Unsichtbaren) als fette Rocknummer. „Blue Skies“ beginnt eindringlich und mündet in eine Wah-Wah-Gitarreneruption, die den wilden Geist der späten Sechziger wieder lebendig werden lässt. Überall lodert die Leidenschaft, singt die Gitarre, jubiliert und klagt mit Wucht Concha Buika. Mal steht die Gitarre im Dialog mit der Orgel von Dave K. Mathews, mal die Sängerin mit ihren Background-Kolleginnen.

Rick Rubin bildet Santana und seine Musiker völlig puristisch ab, ungeschützt, und Santana hat kleine Hänger einfach stehenlassen, was in diesem Session-Kontext gar nicht stört und eher die Spontaneität unterstreicht. Polarisieren wird Rubins Hang, den Sound an die Aussteuerungsgrenze zu treiben – Metallicas Album „Death Magnetic“ zum Beispiel hat er in den Ohren vieler Fans klanglich ruiniert. So extrem ist „Africa speaks“ zum Glück nicht ausgefallen, hier erfüllt der immense Schalldruck eine Funktion: Er facht die Flammen noch weiter an.