Die Gewerkschaft Verdi wirft dem Lufthansa-Management vor, sich beim Air-Berlin-Deal in unzulässiger Weise um einen gesetzesgemäßen Betriebsübergang herumzudrücken. Viele Mitarbeiter der insolventen Fluglinie fühlen sich im Stich gelassen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Air Berlin ist zerlegt, hebt an drei deutschen Stationen aber weiter ab. Auch von Stuttgart aus heben noch etwa fünf mittlerweile umlackierte Maschinen ab. 220 Beschäftigte fliegen noch für die Pleite-Airline. Dabei handelt es sich um Flüge, die seit Anfang 2017 für mehrere Jahre von der Lufthansa-Tochter Eurowings gemietet wurden. Solche Tauschgeschäfte inklusive Flugzeuge, Crews und Flugstrecken – „Wetlease“ (Nasse Miete) genannt – sind üblich. Spätestens Ende Januar, so kursiert es intern, werden auch diese Aufgaben für Air Berlin erledigt sein.

 

Die Abwicklung der insolventen Fluglinie mit ihren zuvor 8000 Mitarbeitern schreitet voran: Die Sozialplan-Verhandlungen für die Piloten und Bodenmitarbeiter sind beendet, sodass sie jetzt ihre Kündigungen erhalten haben. Etwa 300 Bodenkräfte wechseln in eine Transfergesellschaft. Ihr Glück: für sie sind die Jobaussichten in der Hauptstadt nicht so schlecht.

Sozialplan-Verhandlungen für die Kabine stocken

Noch keinen Sozialplan gibt es für 3200 Flugbegleiter. Die Verhandlungen stocken. „Die Fronten zwischen Geschäftsführung und Personalvertretung sind verhärtet“, sagt Verdi-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle dieser Zeitung. Die Zeit drängt, weil die Beschäftigten in der Kabine ohne Gehalt freigestellt sind. Erst nach Abschluss des Interessensausgleichs erfolgen die Kündigungen, mit denen die Betroffenen Arbeitslosengeld erhalten.

Dieses Vorgehen der Lufthansa seit der Übernahme von Teilen der Air Berlin zieht massive Kritik auf sich: „Die widerrufliche Freistellung ist schwierig. denn sie signalisiert, der Arbeitgeber könnte unter Umständen wieder einstellen“, sagt Behle, die auch stellvertretende Vorsitzende im Lufthansa-Aufsichtsrat ist. Das erschwere dem Betroffenen den Gang zur Arbeitsagentur. „Aus meiner Sicht ist es ein Druckmittel gegenüber der Personalvertretung, in den Verhandlungen zu Potte zu kommen.“ Denn lange halten die freigestellten Mitarbeiter die Phase ohne Lohn nicht aus.

„Air Berlin wurde zerlegt, doch beim Personal hat sich die Lufthansa der Verantwortung entzogen“, rügt Behle. Vehement kritisieren die Arbeitnehmervertreter, dass das Lufthansa-Management alles tut, um sogenannte Betriebsübergänge nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu umgehen. Sie übernimmt die lukrativen Streckenrechte und Leasingverträge für Flugzeuge – doch das Personal wird außen vor gelassen. „Wir müssen die Fakten noch rechtlich bewerten“, sagt Behle. „Wenn wir eine Chance sehen, werden wir auf Betriebsübergang klagen.“ Normalerweise hängt diese Frage an der Übernahme von Sachmitteln. Da Air Berlin aber keine Flugzeuge besitze, müssten vor allem die Start- und Landerechte als Kriterium herangezogen werden, so Verdi. Eine gerichtliche Klärung dieses Vorgangs wäre ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte und würde über mehrere Instanzen gehen, somit Jahre dauern. Auf ein Ergebnis können die Mitarbeiter daher nicht warten, weil sie ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Deshalb rät Verdi ihnen, sich zu bewerben oder arbeitslos zu melden, um Nachteile zu vermeiden.

Gerichtliche Klärung würde Jahre dauern

Nun seien die „Messen im Prinzip gesungen“, meint Behle. Über die Demonstration vorige Woche hinaus sind keine neuen Kundgebungen geplant. Auch der jüngste Brief von SPD-Bundestagsabgeordneten an Lufthansa-Chef Carsten Spohr wird kaum noch etwas erreichen. „Eigentlich ist das alles zu spät“, sagt die Verdi-Vorständlerin. Vielmehr hätte die Bundesregierung den 150-Millionen-Euro-Überbrückungskredit zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs „an die Bedingung knüpfen müssen, dass die Beschäftigen übernommen werden“, so Behle. Die Lufthansa habe den Eindruck erweckt, dass sie 3000 neue Leute suche und viele „Air Berliner“ übernehmen werde. „Die Politik hat an die Lufthansa nur appelliert, keine harten Fakten gesetzt – eine Verbindlichkeit wurde von der Regierung als nicht wichtig eingeschätzt.“

Kritikwürdig findet Verdi auch die Bewerbungsverfahren, in die sich das fliegende Personal begeben muss, das zur Eurowings wechseln will – niemand kann sich sicher sein, dass er tatsächlich genommen wird. „Die Auswahlverfahren sind aus Sicht der Beschäftigten moralisch verwerflich“, betont Behle. „Wir halten es auch nicht für verantwortungsvoll, so damit umzugehen.“ Kurios: Manche Beschäftigte würden sich so auf einen Job bewerben, den sie im „Wetlease“-Austausch vorher schon gemacht hätten. „Da gibt es große Widerstände, bei so einem Arbeitgeber anzufangen.“ Folglich sei die Bewerberlage weder bei Piloten noch bei Flugbegleitern wirklich groß.

Tarifloser Zustand bei Eurowings Europe befristet

Kleine Erfolge kann Verdi immerhin verbuchen: So wurden mit Eurowings wie auch mit der Easyjet, die ebenfalls Teile von Air Berlin übernommen hatte, Tarifverträge zur Anerkennung von bis zu 17 Beschäftigungsjahren abgeschlossen. Dies soll den Einkommensverlust der Wechsler etwas abfedern. Bei Easyjet gebe es kaum echte Lohnverluste, und dort gebe es auch einen „ziemlich guten Besetzungsstand“, sagt Behle. „Das funktioniert zur Zeit.“

Ferner kann offenbar der tariflose Zustand bei Eurowings Europe, die wegen der günstigeren Tarifkonditionen für die Lufthansa ihren Sitz in Österreich hat, beendet werden: „Es gibt eine schriftliche Zusage an uns, dass dies nur ein Übergangszustand ist – spätestens Ende 2018 soll mit uns ein Tarifvertrag für Eurowings Europe abgeschlossen werden“, sagt Christine Behle. Allen neuen Mitarbeitern, die zunächst dort eingestellt würden, sollen die Arbeits- und Einkommensbedingungen der deutschen Tochter zugesichert werden.

Dennoch sagt ein Mitglied des Air-Berlin-Betriebsrats: „Von den Gewerkschaften hätten wir uns viel mehr Unterstützung gewünscht.“ Möglicherweise befürchte Verdi eine Welle von teuren Kündigungsschutzklagen und scheue auch die große Konfrontation mit der Lufthansa.