Seit Corona-Sorgen den Alltag dominieren, zieht es die Leute hinaus. Mancher Naturfreund steht aber vor verwildernden oder schlecht markierten Wanderwegen: Der Schwäbische Albverein kommt mit der Betreuung kaum noch nach. Wie lässt sich Abhilfe schaffen?

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Landkreis Ludwigsburg - Rainer Czerny zieht die Stirn in Falten. Der Gauwegmeister des Schwäbischen Albvereins steht an einer Gabelung in einem Ensinger Waldstück, nahe der Eselsburg, einem beliebten Ausflugsziel. „Da weiß man ja wirklich nicht, in welche Richtung man weiter soll“, sagt er. 20 Meter entfernt lugt hinter Zweigen und Blättern zwar schemenhaft etwas hervor, das eine Markierung sein könnte. Doch eindeutig ist die Kennzeichnung mitnichten. Czerny fackelt nicht lange. Aus seinem Rucksack kramt er ein weißes Schild mit rotem Quer-Rechteck und der Aufschrift „HW 10“ – der „Hauptweg 10“ steht für „Stromberg-Schwäbischer-Wald-Weg“ –, legt es auf ein Querholz und befestigt das Arrangement mit Alunägeln an einem gut sichtbaren Baum. Die nächsten Wanderer werden mit einem Blick erfassen, wo es langgeht.

 

Rund 1000 Kilometer Wanderwege durchziehen das Gebiet Stromberg/Enz und Neckartal. Manche liegen einsam, auf anderen herrscht Betriebsamkeit, erst recht seit Corona. „Wir haben Stammgäste, aber dieses Jahr kommen auch viele Leute von weiter weg“, erzählt Karin Fischer von der Pächterfamilie des Wanderlokals im Eselsburg-Ausflugsturm.

Corona vereitelt den krönenden Abschluss

Auch wenn der markante Holzturm des Albvereins aktuell nicht bestiegen werden darf, weil Besucher nicht abstandskonform auf- und absteigen können, zieht es an den bewirtschafteten Sonn- und Feiertagen viele Gäste zu dem schönen Fleckchen am Stromberg. Unter freiem Himmel an rustikalen Holztischen einen Imbiss genießen, während die Kinder auf dem Spielplatz oder durchs Unterholz tollen: Das hat selbst ohne krönende Besteigung der Aussichtsplattform Charme.

Zum Turm würden Spaziergänger auch ohne Albvereins-Markierung finden: Weitere Schilder dirigieren Spaziergänger ebenfalls dorthin. Wie in anderen attraktiven Landstrichen, wo mittlerweile auch Fremdenverkehrsverbände und Kommunen die Naturliebhaber als Zielgruppe entdeckt und eigene Rundwege mit Event-Charakter kreiert haben, gibt es in der Region Stromberg-Heuchelberg touristische Touren mit eigenen Kennzeichnungen, für die Ausflügler weder Vorbereitung noch Wanderkarte brauchen.

Die einzigen Orientierungshilfen

Doch die Kärrnerarbeit der Wanderwege-Kennzeichnung in Württemberg übernimmt immer noch – seit mehr als 100 Jahren – der Schwäbische Albverein. Gustav Ströhmfeld (1862 bis 1938), einer der Albvereins-Pioniere, ersann dafür ein ausgeklügeltes Symbol- und Farbsystem. Gerade in touristisch weniger erschlossenen, oft nicht weniger entdeckenswerten Regionen sind diese Dreiecke, Gabeln oder Rauten oft die einzigen Orientierungshilfen. Sie bewähren sich bis heute: „Wenn Sie im Wald kein Netz haben, nützt Ihnen GPS nichts“, sagt die Albvereins-Pressesprecherin Ute Dilg. „Und Wanderkarten lesen können viele Leute nicht mehr.“

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Rund 700 ehrenamtliche Wegewarte halten dieses System in Schuss. Sie machen regelmäßige Kontrollgänge, erneuern abblätternde Farbe, ersetzen marode Kennzeichen, rubbeln Moos von Plaketten oder bringen ergänzende Schilder an. Sie kappen in den Weg ragende Brombeerranken oder Brennnesseln oder schneiden Zweige und Äste zurück, die Markierungen verdecken. Sie überprüfen, ob Wanderwege verlegt wegen müssen oder ob sie womöglich neuerdings in Baustellen oder neue Industriegebiete münden.

Hunderte Kilometer ohne Kümmerer

Doch den Wegewarten geht langsam die Luft aus. Viele müssen aus Alters- und Gesundheitsgründen aufgeben. Jüngere kommen fast keine nach. Die Mitgliedschaft in einem Wanderverein gilt heutzutage nicht gerade als hip, und dass der Verein verstärkt Familienangebote macht und die Schwäbische Albvereinsjugend immerhin rund 100 Gruppen zählt, kehrt den Trend beileibe nicht um. Allein rund um die Sachsenheimer Teilorte Hohenhaslach und Häfnerhaslach sind derzeit fast 100 Kilometer Albvereins-Wege ohne „Kümmerer“. In Ludwigsburg sind es 41 Kilometer, im Gesamt-Beritt des Albvereins zwischen Taubertal und Bodensee sogar etwa 800 Kilometer. Manchmal übernehmen Wegewarte anderer Ortsvereine diese Strecken mit. „Aber die haben oft schon selbst viele Kilometer zu betreuen. Eigentlich kann man das niemandem zumuten“, sagt Rainer Czerny.

Der Gauwegmeister, der die Wegewarte betreut, sie berät und Abstimmungen mit Behörden und Waldbesitzern koordiniert, erlebt die Entwicklung am eigenen Leib: Der Stromberggau ist in zwei Sektionen aufgeteilt, Czerny ist eigentlich für den östlichen Teil zuständig. Als sein Kollege für den West-Teil starb und sich kein Nachfolger fand, übernahm der 75-Jährige, dem man sein Alter kaum abnimmt, kommissarisch dessen Part. Er betreut nun beide Teile des großen Gebiets – was, wie an diesem Tag, auch beinhalten kann, dass er selbst zu Pflegearbeiten loszieht.

Auf der Suche nach Paten

Doch wie wird das in Zukunft aussehen? Werden ganze Wanderstrecken, die jahrzehntelang mit Hingabe und Aufwand gehegt und gepflegt wurden, verwildern und perspektivisch nicht mehr attraktiv, vielleicht überhaupt mehr begehbar sein? Der Albverein hofft, dass sich dieses Szenario noch abwenden lässt – mit Wegepaten, die unterstützend mithelfen. „Rüstige Neurentner zum Beispiel“, sagt Rainer Czerny. „Wer auch nur ein paar Kilometer betreut, kann helfen, dass wir unsere Wanderwege intakt halten. Wir helfen mit Schulungen für Neueinsteiger.“

Auf mehrere Schultern verteilt, sei die Aufgabe zu stemmen, hofft Czerny. Die Allgemeinheit, die die nahe Natur neu zu schätzen gelernt hat, würde davon profitieren. In Corona-Zeiten. Und danach.