Ein weltweiter Charterfolg kann Segen und Fluch zugleich sein. Im Stuttgarter LKA versucht die Singer-Songwriterin Alice Merton am Freitag, das Image eines One-Hit-Wonders abzustreifen. Ob ihr das gelungen ist?

Stuttgart - Ein Ohrwurm muss in erster Linie einfach sein und in die Beine gehen. Die Studie von Forschern der britischen Durham University bestätigt es: Alice Merton hat mit ihrem Song „No Roots“ alles richtig gemacht. Der Refrain lässt sich auch nach vier Bier noch gut mitsingen und den Groove stampft man automatisch mit. Es ist also kein Wunder, dass das Lied nach der Veröffentlichung Ende 2016 sukzessiv die internationalen Charts emporklimmt und Merton Anfang dieses Jahres sogar auf die Bühne der bekannten US-amerikanischen "Tonight Show" bringt. Doch der Erfolg kommt, wie so oft, auch bei der in Frankfurt am Main geborenen Weltenbummlerin nicht über Nacht, und keinesfalls ohne Rückschläge.

 

„Wenn mich Leute fragen, warum ich mein eigenes Plattenlabel gegründet habe, antworte ich: Weil mich kein anderes nehmen wollte“, erklärt Alice Merton vergangenen Freitag mit ernster Miene in Stuttgart. Rund 900 Zuschauer haben sich an diesem Abend auf den Weg ins LKA gemacht, um die 24-Jährige im Rahmen ihrer Europatour live zu erleben.

Das ist eine beachtliche Anzahl, wenn man bedenkt, dass Merton bisher nur vier Lieder auf einer EP veröffentlicht hat. Darunter auch die zweite Single-Veröffentlichung „Hit the Ground Running“. Eine düstere Uptempo-Nummer, die unter der „No-Roots“-Lawine jedoch nur wenig Beachtung bekam. Auch zu Beginn der Show verpufft die Qualität des Songs. Denn nur wenigen Künstlern gelingt es wirklich, das Publikum von den ersten Minuten an mitzureißen.

Merton präsentiert mit einer kompakten dreiköpfigen Band Lieder ihres Mini-Albums „No Roots“ und Kompositionen, die noch nicht veröffentlicht wurden. Das Repertoire der Sängerin umfasst energische Popsongs wie „Jealousy“ und gefühlvolle Balladen wie „Back to Berlin“. Und obwohl in sehr vielen Stücken großes Potenzial zum Hit schlummert und ihre Fans mehr als gewillt sind, die Künstlerin zu feiern, tut sich Merton schwer an diesem Abend. Ihre englischen Ansagen stoßen auf Unverständnis - im Wortsinn. Schließlich spricht die Musikerin, die derzeit Berlin zur Wahlheimat gemacht hat, fließend deutsch. Eine Meute, die ausgelassen tanzt? Eher ein verhaltenes Mitwippen. Merton fehlt die Leichtigkeit.

Und so findet die Newcomerin viel zu lange keine richtige Verbindung zu ihrem Publikum. Nach rund einer Stunde auf der Bühne erklingt schließlich die markante Basslinie ihres Über-Hits und rettet die Sängerin vor einer verlorenen Show. Automatisch fangen ihre Zuhörer an sich ekstatisch zu bewegen und mitzusingen. Es ist eben dieser Ohrwurm, bei dem Merton alles richtig gemacht hat.
 

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