Die Politik hat beschlossen, dass in Baden-Württemberg nachts wieder Alkohol uneingeschränkt verkauft werden darf. Die Gesetzesänderung begeistert den Handel, hat aber auch scharfe Kritiker.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Schnaps, Bier Wein und Likör durften in den zurückliegenden sieben Jahren nach 22 Uhr in Supermärkten und Tankstellen nicht mehr über die Verkaufstheke gehen. Das Unternehmen Rewe hat herausgefunden, was stattdessen die Verkaufsschlager in den Stunden von 22 Uhr bis Mitternacht waren: „In diesen Stunden sind Bananen und H-Milch unsere Topseller“, sagt die Unternehmenssprecherin Sabine Stachorski. Die Milchtüte und die Südfrucht bekommen nun wieder Konkurrenz. Von Freitag an dürfen Geschäfte und Tankstellen auch in der Zeit nach 22 Uhr wieder Alkohol verkaufen.

 

Der baden-württembergische Landtag hat das Alkoholverkaufsverbot nach 22 Uhr Mitte November aufgehoben, an diesem Freitag tritt die Gesetzesänderung in Kraft. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Während Tankstellenbetreiber und der Einzelhandelsverband frohlocken, kommen kritische Stimmen aus der Kommunalpolitik und von Jugendsozialarbeitern der Evangelischen Gesellschaft.

Es gibt auch kritische Stimmen in der Stadt

Gelassen ist man bei Rewe: „Wir sehen die Aufhebung des Verbots gelassen. Dass wir unseren Markt auch nach der Einführung des Verbots 2010 weiterhin lange geöffnet hatten, zeigt: Alkohol hat nach 22 Uhr keinen ausschlaggebenden Anteil am Umsatz“, sagt die Unternehmenssprecherin Stachorski über die Entwicklung in Stuttgart und im Land. In der Landeshauptstadt sind zum Beispiel die Filialen im Bosch-Areal und an der Schwabstraße bis Mitternacht geöffnet.

So gelassen hat man das Verbot unter Tankstellenbetreibern offenbar nicht gesehen: „Es war die reine Katastrophe, die Kunden wollten immer etwas kaufen. Ständig mussten die Mitarbeiter diskutieren“, berichtet die Bezirksleiterin Jeanette Fischer von der Grünzinger-Gruppe, die auch in Stuttgart mehrere Tankstellen betreibt, zum Beispiel an der Augsburger Straße in Obertürkheim. „Manche schlugen vor, sie würden das Geld dalassen und wir sollten am nächsten Tag erst den Verkauf in die Kasse eingeben. Manche unserer Mitarbeiter hatten auch Angst, weil die Kunden auch sauer wurden“, berichtet sie aus den Zeiten des Verkaufsverbots. Manch ein Stammkunde habe die Tankstelle sogar gemieden, aus Frust darüber, nachts keine alkoholhaltigen Getränke mehr zu bekommen. Doch nicht nur atmosphärisch im Verhältnis Kunde/Verkäufer sei es schwierig gewesen. Jeanette Fischer spricht auch von wirtschaftlichen Problemen: „An einer Tankstelle im Bereich Stuttgart haben wir die Öffnungszeiten sogar um zwei Stunden verkürzt“, sagt sie. Umso glücklicher sei man jetzt, wieder länger öffnen zu können und die Kunden nicht wegschicken zu müssen, fügt sie hinzu.

Die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne), zuständig für den Bezirk Mitte, ist hingegen sehr skeptisch: „Ich finde es schade. Eigentlich ist es ganz gut gelaufen“, sagt sie. Sie findet, dass das Trinken und das Komasaufen Jugendlicher in der Öffentlichkeit auch dank des nächtlichen Verkaufsverbots nachgelassen habe. Aber auch falls da ein direkter Zusammenhang nicht nachzuweisen wäre, hätte sie ein Fortbestehen des Gesetzes richtig gefunden: „Man zeigt damit auch eine Haltung, nämlich dass Alkohol nicht immer und überall verfügbar sein muss und konsumiert werden soll“, sagt die Kommunalpolitikerin. Im Stadtbild habe sie eine Veränderung wahrgenommen: „Es liegen weniger zerdepperte Flaschen auf den Straßen und Plätzen.“ Ob sich das wieder ändert, werde erst der Sommer zeigen, im Winter würde schließlich nicht so viel draußen gefeiert.

Bedenken hat auch Klausjürgen Mauch, der Bereichsleiter für die Jugendsozialarbeit bei der Evangelischen Gesellschaft (Eva): „Wir befürchten negative Auswirkungen auf junge Menschen. Die Verfügbarkeit und der Konsum von Alkohol zum Beispiel auf Party- und Eventmeilen wird wieder zunehmen. Dadurch befürchten wir auch eine Zunahme von Gewalt durch steigende Alkoholexzesse“, sagt er. Außer Frage steht für Mauch, dass auch in Zeiten des nächtlichen Verkaufsverbots viel getrunken wurde – Vorräte, die sich Partygänger früh am Abend zugelegt hatten. Jedoch argumentiert er ähnlich wie die Bezirksvorsteherin Kienzle, dass man auch mit der Verfügbarkeit eine Einstellung zum Rauschmittel Alkohol vermitteln könne: „Natürlich kann man sich immer Alkohol beschaffen – es geht aber darum, wie leicht oder wie schwer ich es mache“, sagt der Sozialarbeiter Klausjürgen Mauch.

Das Trinken auf öffentlichen Plätzen durch Konsumverbote zu unterbinden ist in der Landeshauptstadt nicht geplant. Stuttgart habe keine Brennpunkte, für die das infrage komme, sagte ein Sprecher der Stadt.