Wer alleinerziehend ist, landet schneller in der Armutsfalle als andere Familien. Vom 1. Juli an bekommen die Kinder, denen ein Elternteil nichts oder zu wenig zahlt, länger Hilfe aus der Sozialkasse. Das war aus Sicht der Betroffenen „längst überfällig“.

Stuttgart - Endlich zwölf! Während ihre Zwillinge auf den Geburtstag hin fieberten, lag der Termin wie ein Damoklesschwert über ihr, erzählt eine Mutter im Alleinerziehenden-Blog „Mama arbeitet“. Seit der Trennung zahlte der Kindsvater keinen Unterhalt; der Staat kompensierte einen Teil des Ausfalls mit dem sogenannten Unterhaltsvorschuss, der bei unter Sechsjährigen 150 Euro im Monat und bei unter Zwölfjährigen 201 Euro beträgt. Doch das Geld gab es bisher nur für höchstens 72 Monate und maximal bis zum zwölften Lebensjahr.

 

Und jetzt: „Aufatmen“, schreibt die Mutter – mit Ausrufezeichen. Im Rahmen der Neuregelung des Finanzausgleichs haben sich Bund und Länder darauf verständigt, dass Kinder den Unterhaltsvorschuss bis zur Volljährigkeit bekommen – ohne weitere Einschränkung. Statt null Euro für über Zwölfjährige gibt es mit dem Inkrafttreten der Reform am 1. Juli monatlich 268 Euro vom 12. bis zum 18. Lebensjahr. Für Hartz-IV-Empfänger macht das finanziell keinen Unterschied. Ihnen wird der Vorschuss voll auf das Einkommen angerechnet. Für Alleinerziehende jedoch, die mit ihrem Einkommen nur gerade so über die Runden kommen, ist der Ausbau eine Erleichterung. Er ist „ein Meilenstein, aber auch längst überfällig“, sagt Miriam Hoheisel, Geschäftsführerin des Bundesverbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV). Damit falle „eine willkürliche und lebensfremde Begrenzung, die völlig an den Zwängen der Eltern vorbeiging“.Rund 1,6 Millionen Menschen erziehen hierzulande ihre Kinder allein. Etwa 2,3 Millionen Kinder in Deutschland wachsen nur bei einem Elternteil auf. Und die haben finanziell starkes Nachsehen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem vergangenen Jahr belegt, dass Kinderarmut wesentlich auf die Armut von Alleinerziehenden zurückzuführen ist, die zumeist weiblich, gut ausgebildet und in Teilzeit tätig sind. Ihr Armutsrisiko ist der Erhebung zufolge seit 2006 um knapp sieben Prozent gestiegen. Bei Paarfamilien sank das Armutsrisiko dagegen im selben Zeitraum um knapp zwölf Prozent. Das größte Problem sind demnach ausbleibende Unterhaltszahlungen. Drei von vier Kindern Alleinerziehender bekommen keinen oder nur geringen Unterhalt.

Große Unterschiede zwischen den Ländern

Tatsächlich ist die ursprünglich als Übergangslösung angedachte Kompensation in der Regel eine Dauerunterstützung. Im Jahr 2015 mussten laut dem Bundesfamilienministerium 440 000 Kinder vom Staat unterstützt werden, weil ein Elternteil keinen Unterhalt zahlte. Das kostete Bund und Länder insgesamt 843 Millionen Euro, von denen 23 Prozent wieder eingetrieben werden konnten. Wie erfolgreich die Behörden dabei sind, sich das Geld von den Zahlungsfähigen, aber -unwilligen zurückzuholen, wird mit der sogenannten Rückgriffsquote beziffert. Warum fällt die nicht höher aus? „Es mag sein, dass viele tatsächlich nicht leistungsfähig sind“, sagt Maria Wersig, Professorin für Sozial- und Familienrecht an der Fachhochschule Dortmund. „Wir brauchen aber verlässliche Studien dazu, warum der gesetzliche Anspruch auf Unterhalt oft nicht eingelöst wird.“ Gleiches gelte für die mangelnden Erfolge der Rückforderungen. Prüfungen der Verwaltungspraxis zeigten Defizite in den Behörden auf. So würden etwa vielerorts die Ansprüche nicht regelmäßig geltend gemacht, Fristen nicht eingehalten, Unterhaltspflichtige, die sich ins Ausland absetzen, nicht ausreichend überprüft. So variieren die Rückgriffsquoten sehr stark.

Während Bayern mit 36 Prozent und Baden-Württemberg mit 32 Prozent laut Zahlen des Familienministeriums von 2014 an der Spitze liegen, blieb in Sachsen (16 Prozent), Hamburg (14) und Bremen (11) die Nichtzahlung meist folgenlos. Für die Alleinerziehenden sei es ein „Quantensprung, dass sie mit der Reform eine dauerhafte, verlässlich Unterstützung für ihre Kinder bekommen“, begrüßt Wersig die Bund-Länder-Einigung. Auch für diejenigen, die von Hartz IV leben und letztlich nicht mehr im Portemonnaie haben, weil ihnen der Vorschuss wieder von der Sozialleistung abgezogen wird, sei es „rechtlich und persönlich ein großer Unterschied, ob sie vom Jobcenter oder von der Sozialkasse Geld bekommen“.

Behörden haben andere Möglichkeiten als der Einzelne

Auch hätten Behörden andere Möglichkeiten, Unterhaltsforderungen geltend zu machen, als der Einzelne: „Es ist ein großer Vorteil, wenn die starken Schultern des Staates den Anspruch der Kinder durchsetzen.“ Allerdings müssten die Kommunen auch „besser motiviert werden können, die Rückholquoten zu optimieren“, meint die Juristin. Sie schlägt die Einrichtung regional übergreifender spezialisierter Rückgriffstellen vor: „Es sollte viel selbstverständlicher sein in unserer Gesellschaft, dass Kinder Geld kosten und dass man dafür auch finanziell zur Verantwortung gezogen wird.“

Im Landkreis Esslingen beispielsweise wird diese Verantwortung sehr ernst genommen und auch mit der entsprechenden Personalausstattung durchgesetzt. Mit einer Rückgriffsquote von 34,8 Prozent liegt das Jugendamt über dem Landesdurchschnitt. Derzeit gibt es dort 1500 Fälle von laufendem Unterhaltsvorschuss und 4000 (Alt-)Fälle, in denen die Behörde versucht, diesen zurückzubekommen. Der Erfolg hängt „vom Engagement des jeweiligen Amts und natürlich von einer entsprechenden Personalausstattung ab“, sagt die Amtsleiterin Barbara Ziegler-Helmer. Auch für die Kinder sei es von Interesse, dass die Eltern, die doch zahlen können, dies auch tun, betont die VAMV-Geschäftsführerin Miriam Hoheisel. Schließlich sei der Unterhaltsvorschuss deutlich niedriger als der in der Düsseldorfer Tabelle verankerte Mindestunterhalt, den die zahlungsfähigen und -willigen Väter und Mütter leisten. Da dieser darauf zielt, den existenziellen Bedarf abzudecken, dürfe er eigentlich nicht unterschritten werden, sagt die Juristin: „Hier besteht weiterer Reformbedarf.“

Dennoch sei der Ausbau des Unterhaltsvorschusses ein Durchbruch – verbessert er doch voraussichtlich gerade die Situation derjenigen, die als Einzelkämpfer täglich für ihre Familie den Spagat zwischen Betreuung und Beruf meistern.