Das Maichinger Rathaus ist bei Modelleisenbahnfreunden beliebt. Als Bausatz ist es seit dem Jahr 2006 rund tausendmal verkauft worden.

Sindelfingen - Als „Rathaus auf dem Lande“ hat es die Modellbaufirma Kibri tituliert, das Alte Maichinger Rathaus. Bei Modelleisenbahnfreunden ist das schmucke Bauwerk offenbar ziemlich beliebt. Als Minimodell steht es auf zahlreichen Anlagen in Deutschland. Doch wer weiß schon, welche Geschichte sich um das stattliche Gemäuer rankt, das die Stadt in den 1970er Jahren noch abreißen wollte?

 

Miniatur des 1540 erbauten Fachwerkhauses

Einer von ihnen ist der Ortshistoriker Karlheinz Arnau, der als fachkundiger Bürger an Sitzungen des Kulturausschusses teilnahm. „Vor 52 Jahren bin ich in das Dorf gekommen“, sagt der 87-Jährige. Er stammt eigentlich aus dem Ländle, studierte aber in Westfalen. Als Bauingenieur fand er im Großraum Stuttgart eine Arbeitsstelle – so wie viele. Zwar stand das Maichinger Rathaus damals tatsächlich noch ziemlich „auf dem Lande“. Doch leben längst nicht mehr nur 1700 Einwohner in Maichingen wie noch nach dem Krieg. Der einstige Flecken ist nach Sindelfingen eingemeindet worden und inzwischen keineswegs mehr ländlich geprägt. Schließlich sind nur wenige Kilometer entfernt allein bei Daimler rund 36 000 Menschen beschäftigt.

Die Miniaturausgabe des im Jahr 1540 erbauten Fachwerkhauses aber trägt zur Idylle auf den Modelleisenbahnen bei. Das altwürdige Gemäuer war jedoch nicht immer so ansehnlich. Karlheinz Arnau hat Fotos gesammelt von früher, die den heutigen Maichinger Stolz ganz anders zeigt. Das Fachwerk lag zuletzt unter Putz.

Das Rathaus sackt 44 Zentimeter ab

Der Stuttgarter Architekt Rolf Lemberg nahm sich dieses Kleinodes an und stellte in einem Gutachten fest, dass die Hölzer in der ursprünglichen Konstruktion aus Eiche mit wenigen Ausnahmen noch gut erhalten waren. In einem eher schlechtem Zustand dagegen befand sich jener Teil des Rathauses, der im 19. Jahrhundert angebaut wurde und aus Fichtenholz bestand. Alles in allem bescheinigte Lemberg dem Gebäude aber eine wertvolle Bausubstanz.

Allerdings war das Rathaus von zwei Wassergräben umgeben: dem „Ratsgraben“ auf der Seite der Pfaffengasse und einem zweiten dem Nachbarhaus zugewandt. Der feuchte Untergrund hatte im Laufe der Jahrhunderte seine Spuren hinterlassen, so dass das Rathaus auf „die schiefe Bahn“ geriet. „Es sackte auf der einen Seite bis zu 44 Zentimeter ab“, sagt Arnau, der 19 Jahre lang historische Ortsführungen machte. Das nachmittelalterliche Fachwerk der frühen fränkischen Schule mit alemannischem Einfluss wurde freigelegt und wieder angehoben. Der schadhafte Anbau wurde durch eine einfache Überdachung der Zugangstreppe ersetzt. Auch ein WC-Anbau musste weichen.

Maßstab 1:87

Ein Problem bei der Sanierung war jedoch auch der im Jahr 1774 auf dem bereits abgerutschten Rathaus errichtete Glockenturm. „Stand das Rathaus nun wieder gerade, so war der Turm jetzt schief“, berichtet Arnau. Also habe man auch den Turm anpassen müssen. Die Revitalisierung des Schmuckstücks im Jahr 1985 kostete für damalige Verhältnisse eine stolze Summe: rund eine halbe Million Euro. Dabei hatte die Stadt an der Stelle des Rathaus eigentlich ein Wohn- und Geschäftshaus mit sieben Stockwerken errichten wollen. Doch das Landesdenkmal intervenierte – zum Glück für die heutigen Speilzeugeisenbahnfreunde und Hobby-Modellbauer.

Die Firma Kibri nahm das Alte Rathaus im Jahr 2006/07 in ihr Programm auf und verkaufte es rund tausend Mal. Karlheinz Arnau allerdings hat keines erworben. Er verfügt über keine Modelleisenbahn. Aber auch er sammelt Loks, Waggons und Modellhäuser im Kleinformat. Und zwar nicht im Maßstab 1:87 der Spur HO, für die es das „Rathaus auf dem Lande“ gibt. Sondern die kleinere N-Version im Maßstab 1:160.

Im Alten Rathaus befindet sich ein Kinder- und Familienzentrum

Sanierung
: Entscheidend war die Hebeaktion des abgesackten Rathauses. Maurer brachten Stahlträger an. Mit hochschraubbaren Hebegeschirren wurde das Gebäude wieder in die ursprüngliche Form gebracht. Durch die Sanierung kamen auch die Erkerfenster wieder zur Geltung mit den kleinen Schiebefenstern. Balken wurden aufgearbeitet, wie der alte Stützpfeiler im ehemaligen „Trotten“. In der Presse wurde früher gemostet.

Farbgebung:
Bei der Kolorierung wurde auf Farbfunde zurückgegriffen: Englisch-Rot beim Fachwerk, grau-schwarze Riegelfelder sowie graue Bandelierstriche.

Bewohner
: Im Jahr 1818 wurde der vom Jahr 1796 an auch als Schulmeister in Maichingen wirkende Gottlieb Wagner Schultes von Maichingen. Er tat sich zudem als Mundartdichter hervor und wohnte bis 1839 in dem Gebäude. Heute befinden sich darin ein Kinder- und Familienzentrum sowie Ausstellungsräume