Geistergeschichten haben eine lange Tradition, auch hierzulande. Von den heimischen Sagen geht eine besondere Faszination aus, weil sie immer einen realen Kern haben und in ihnen Dichtung und Wahrheit verschwimmen.

Altkreis - Eine weiße Frau streift durch die Gänge des Graevenitz’schen Schlosses, ein Mönch muss für einen Meineid bis in alle Ewigkeit als Gespenst im Merklinger Wald umherwandeln. Und in der fast vergessenen Meisenburg bei Renningen lag einst ein Schatz verborgen, der nur geborgen werden konnte, wenn niemand in dem Gemäuer ein Wort sprach. So heißt es in drei alten Sagen, die man sich in Heimsheim, Renningen und Weil der Stadt erzählt. Eine besondere Faszination geht bis heute von solchen Geschichten aus. Denn sie spielen nicht in irgendeinem fernen Land oder einer imaginären Märchenwelt. Das Wundersame, aber auch das Unheimliche warten direkt vor der Haustür.

 

„Das ist das Wesen der Sage, das Besondere an ihr: Dass es immer Geschichten sind, die einen realen Bezug haben“, erklärt Mathias Graner, der Stadtarchivar von Renningen. „Es geht um einen realen Ort oder eine reale Person, doch dann kommen mystische Elemente hinzu. So verschwimmt die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit.“

Die Meisenburg gab es wirklich

Das Graevenitz’sche Schloss, das heutige Heimsheimer Rathaus, kennt vermutlich jeder. Bei der Meisenburg sieht das schon ganz anders aus. Doch es gab sie. Unweit des Abenteuerspielplatzes Schinderklinge hat sie gestanden, um die 50 Meter im Durchmesser, nördlich des Naturtheaters Renningen. Heute ist von ihr nichts mehr übrig als ein loser Grundriss, den man aber auch nur dann findet, wenn man genau weiß, wonach man suchen muss, sagt Graner. „Vermutlich stand sie dort im Hochmittelalter, also zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert.“ Um 1600 wird sie einmal schriftlich erwähnt, in der Chorographia Ducatus Wirtembergici, doch schon damals existierte von dem Gemäuer nur noch eine Ruine. Sonst ist von ihr so gut wie nichts überliefert.

Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hielt sich die Sage von der verwunschenen Meisenburg über die Jahrhunderte. „Je weniger man darüber wusste, desto mehr Sagen woben sich darum und desto mehr beflügelte sie die Phantasie“, glaubt Graner, wie es schon Emil Höschele in seiner Dorfchronik beschrieb. Sogar ein unterirdischer Tunnel soll angeblich von der Meisenburg bis nach Renningen geführt haben, erzählte man sich früher. „Darauf gibt es aber keine Hinweise“, sagt Graner.

Etwas mehr weiß man da schon über die Ursprünge der Geschichte vom Hoi-Hoi, dem Geist eines Mönchs, der im Merklinger Wald spuken soll. Die Geschichte darf bei keiner Führung des Heimatkreises Merklingen fehlen. Alles begann mit den Grenzstreitigkeiten zwischen Heimsheimern und Merklingern. In beiden Orten und sogar im angrenzenden Renningen ist die Sage überliefert.

Merklingen gehörte früher zum Kloster Herrenalb

Einen Großteil der Handlung hält Hans Joachim Dvorák, der Vorsitzende des Heimatkreises, deshalb für glaubhaft. Nachgewiesen ist auf jeden Fall, dass Merklingen früher zum Kloster Herrenalb gehörte, „ab 1296 für 250 Jahre“, erklärt er. Das brachte für das Dorf einige Vorteile, zum Beispiel waren die Männer vom Wehrdienst befreit, so Dvorák. Zugleich war das Dorf wenig geschützt vor Raubrittern und dergleichen. „Es heißt, dass die Heimsheimer immer wieder Kühe von Merklinger Boden geholt haben“, sagt er und ergänzt schmunzelnd: „So erzählt man sich zumindest.“ Umgekehrt erschwindelten sich die Merklinger mithilfe eines Herrenalber Mönchs eines Tages einen Teil des Kugelbeerwaldes.

„Erzählungen wie diese gab es früher zuhauf“, sagt Dvorák. Schließlich gab es kein Radio, kein Fernsehen, kein Internet. Nur die wenigsten konnten überhaupt lesen und schreiben. Also erzählte man sich Geschichten. „Und die haben sich über die Jahre natürlich verändert, jedes Mal wurden sie spannender, immer wieder kam etwas Neues hinzu.“ Was trotzdem bleibe, seien die geschichtlich belegten Bezugspunkte. „Und das ist das Spannende daran, die Vermischung von Sage und Wahrheit“, findet deshalb auch Dvorák.

Zu Tode erschreckt

Renningen - Jenseits des Längenbühl liegt der Meisenberg, wo sich einst die Meisenburg erhob. Glaubt man der Sage, hausten dort für lange Zeit Raubritter, denen die Dorfbewohner dienen mussten. Ab und an bekamen sie einen kargen Lohn, den ihnen der Schlossherr aber immer wieder abluchste. Dafür lud er sie ein zum Kartenspiel, setzte seine Gegner aber heimlich vor einen Spiegel, sodass er jederzeit einen Blick in ihr Blatt werfen konnte und jedes Spiel gewann. Das Geld verwahrte er in einer großen Truhe im Keller auf.

Als das Schloss eines Tages zerstört wurde, wollten natürlich viele Renninger den Schatz heben. Doch das war nicht so einfach. Es hieß, dass, wer das Schloss betrat, in Begleitung einer Jungfrau kommen musste und niemand ein Wort sprechen durfte. Ansonsten würde der Schutzgeist entweichen. Eines Tages wagte sich eine Gruppe junger Leute ins Gemäuer. Als das Mädchen niesen musste, sagte einer der Burschen zu ihr: „Warum schweigst nicht!“ Also mussten sie in einer anderen Nacht wiederkommen. Einen von ihnen ließen sie an einem Seil in ein Loch hinab, an dessen Ende sie den Schatz vermuteten. Wenn er am Seil zog, sollten sie ihn wieder hochziehen, sagte er. Doch als er wieder heraufkam, war er kreidebleich und konnte kein Wort sprechen. Irgendwann brachte er dann doch noch hervor, was ihm widerfahren war: Er hatte einen Saal gesehen und darin eine gedeckte Tafel mit Stühlen davor. Darauf saßen menschliche Gerippe, versammelt wie zu einem Trinkgelage. Der Modergeruch habe ihm fast den Atem verschlagen. Seine Freunde brachten ihn nach Hause. Aber er erholte sich nicht mehr und starb wenig später an dem Schrecken.

Die weiße Frau im Schloss

Heimsheim - Wer im Sitzungssaal des Heimsheimer Rathauses Diskussionen über Straßensanierungen und Bebauungspläne lauscht, mag sich kaum vorstellen, dass dieses alte Schloss der Schauplatz einer finsteren Schauermär ist. Der Geist von Christiane Wilhelmine von Graevenitz soll dort bis heute in Gestalt einer weißen Frau sein Unwesen treiben.

Die „Graevenitze“ scheint in Heimsheim keinen guten Ruf besessen zu haben, um es milde auszudrücken. Jedenfalls ranken sich einige grausige Geschichten um die Bewohnerin des Schlosses, schreibt der Heimatforscher Imanuel Stutzmann. Ein rohes und trinksüchtiges altes Weib soll sie gewesen sein – mit einer ganzen Reihe an Liebhabern. Ihr wurde sogar nachgesagt, dass sie einen Sohn, den sie von einem ihrer Liebhaber bekommen hatte, ermordete, indem sie ihn mit dem Kopf gegen die Wand schlug. So sehr sie sich danach auch bemühte, sie konnte das Blut nie ganz von den Wänden waschen. Noch heute soll es an bestimmten Tagen zu sehen sein.

Sie hatte auch noch einen erwachsenen Sohn, den sie Erzählungen nach ebenfalls ermorden wollte. Dazu reichte sie ihm einen Gifttrunk, doch weil er seiner Mutter nicht über den Weg traute, tat er nur so, als würde er ihn trinken, und schüttete ihn stattdessen über sein Pferd. Kurz darauf starb es. Er ritt also mit dem Pferd seines Knechtes zurück, setzte seine Mutter in eine Kutsche und ließ diese verriegeln. Sechs Pferde spannte er davor, die in Windeseile in Richtung Tiefenbronn galoppierten, wobei die Kutsche umstürzte und der Teufel die Graevenitze zu sich holte.

„Hoi hoi“ ruft’s durch die Bäume

Weil der Stadt - Wenn die Investoren für die Windräder im Merklinger Wald um die Sage vom Hoi-Hoi wüssten, ob sie dann noch ihre Anlagen dort aufstellen wollten? Denn noch heute, so heißt es in einer Sage, geht dort ein Geist umher, der vorbeikommende Wanderer erschrickt und sie mit seinem Rufen ins Dickicht locken will, damit sie sich im Wald verlaufen.

Der Hoi-Hoi, das ist der Geist eines Mönchs, der einst eine schwere Schuld auf sich geladen hat. Als der Kugelbeerwald noch gänzlich den Heimsheimern gehörte, erlaubten sie den Merklingern, dort Holz und Laub zu sammeln. Das stieg den Merklingern wohl zu Kopf, und irgendwann bestanden sie darauf, dass dieses Land ihnen gehöre. Das passte den Heimsheimern natürlich ganz und gar nicht, sie setzten sich zur Wehr. Es kam sogar zu einer Gerichtsverhandlung auf dem umstrittenen Platz unter der großen Kätterleseiche. Ein Mönch trat als Zeuge auf. Der gehörte allerdings zum Klosterhof Herrenalb, das damals auch Merklingen verwaltete. Also stellte sich der Mönch vor die Parteien hin und verkündete: „So gewiss ich den Schöpfer über meinem Haupte habe, so gewiss stehe ich hier auf Merklinger Boden.“ Dank dieser Aussage wurde das Waldstück den Merklingern zugesprochen. Was aber niemand wusste: Unter seiner Kapuze hatte der Mönch einen Schöpflöffel versteckt und daheim Erde aus Merklingen in seine Schuhe gestreut, heißt es. Ein kleiner Trick, für den er teuer bezahlen musste. Denn die Seele des Mönchs konnte nach seinem falschen Schwur keine Ruhe mehr finden.