Ein Motorradfahrer wird wegen fahrlässiger Tötung verurteilt: Er ist nach einem aggressiven Überholmanöver mit einem Fahrradfahrer zusammengestoßen – rasend schnell und nahezu ungebremst.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Schönaich - Über fast zwei Jahre hat sich das Leiden des 74-Jährigen hingezogen: Mit schwersten Verletzungen wurde er am 15. Oktober 2017 in eine Tübinger Klinik eingeliefert, im Juli des vergangenen Jahres starb er an Herzversagen. Ein Motorradfahrer hatte ihn mit einer Geschwindigkeit von mindestens 95 Kilometern pro Stunde auf einer Kreisstraße bei Schönaich erfasst. Der 29 Jahre alte Mann ist am Böblinger Amtsgericht nun wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. „Gerechtigkeit für das Opfer und seine Angehörigen gibt es nicht“, sagte der Vorsitzende Richter.

 

Blauer Himmel, die Sonne scheint

Es war ein perfekter Tag zum Motorrad- und Fahrradfahren. Der Himmel war blau, die Sonne schien. Wie so oft drehte der Rentner eine Runde mit seinem Rennrad. Gegen 16.40 Uhr wollte er die von Steinenbronn nach Böblingen führende Kreisstraße von einem Feldweg aus kreuzen. Er hielt wohl nicht an, sondern fuhr durch. Eine Motorradfahrerin sah ihn und drosselte die Geschwindigkeit. Auf der Strecke ist Tempo 70 erlaubt. Der ihr auf einer 150-PS-Maschine folgende junge Mann gab dagegen Gas. Er machte einen sportlichen Schlenker um die Frau und erkannte den Fahrradfahrer erst, als es zu spät war: Mit einer Geschwindigkeit zwischen 95 und 130 Kilometern pro Stunde raste er fast ungebremst in den 74-Jährigen, berechnete ein Gutachter.

„Ich kann mich an nichts erinnern“, sagte der Angeklagte vor Gericht. Er brach sich Rippen bei dem Unfall, verletzte seine Lunge, erlitt mehrere Prellungen, aber wurde wieder vollständig gesund. Seit sechs Jahren fährt er Motorrad, zwei bis drei Mal die Woche. „Ich bin eigentlich keiner, der schnell fährt“, erklärte er. Tatsächlich hat der Metallbauer auch keinerlei Punkte in Flensburg angesammelt oder eine Vorstrafe. Seit dem Unfall ist er nicht mehr auf seine Maschine gestiegen.

Ein unnötiges Überholmanöver

Die Motorradfahrerin hörte, wie der 29-Jährige hinter ihr herunterschaltete und aufdrehte. Das Überholmanöver bezeichnete sie als unnötig, beim Einscheren hatte der Angeklagte ihrem Eindruck nach Schwierigkeiten, sein Motorrad wieder auf Linie zu bringen. „Es war kein schönes Bild“, beschrieb die 59-Jährige dann den Zusammenstoß, „alles vor mir flog durch die Gegend.“ Der ihr folgende Autofahrer bestätigte die Aussage. Der 45-Jährige sah, dass das Bremslicht des jungen Mannes kurz aufflackerte, und daraufhin „eine schwarze Wolke, die sich explosionsartige ausbreitete“. Das Ganze tue ihm sehr leid, sagte er: Ein Mensch sei gestorben, aber er denke auch an den Motorradfahrer.

Die Verletzungen des Rentners waren lebensbedrohlich. Unter anderem waren die Rippen, beide Schlüsselbeine, das Gesicht, das Becken, der Unterschenkel und der Oberarm gebrochen, die Lunge gequetscht und gerissen. „Mein Mann war sehr aktiv und topfit“, sagte seine Frau vor Gericht. Er wurde in ein künstliches Koma versetzt, künstlich ernährt und beamtet, später mehrfach operiert. Nach einem Jahr in verschiedenen Kliniken konnte der 74-Jährige weiterhin weder sprechen noch schlucken und höchstens im Rollstuhl sitzen. Immer wieder litt er an Lungenentzündungen und anderen Infekten. „Er hat irgendwann aufgegeben“, sagte sein Sohn. Als der 74-Jährige schließlich in ein Pflegeheim verlegt wurde, starb er dort in der ersten Nacht. Der Unfall sei die Ursache für den Tod gewesen, erklärte die Rechtsmedizinerin.

Ein agiles Leben ausgelöscht

„Sie haben ein agiles Leben ausgelöscht“, sagte der Anwalt der Angehörigen zu dem Angeklagten. Der Richter teilte diese Ansicht: Zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilte er den 29-Jährigen, seinen Führerschein muss er für fünf Monate abgeben und 3000 Euro an die Deutsche Luftrettung bezahlen. „Dieses Überholmanöver war vorsätzlich falsch“, weil er bewusst gegen die Vorschriften verstoßen habe, erklärte der Richter. Und das Opfer und seine Familie hätten in der Folge ein Martyrium durchlebt.