Vor vier Jahren ist Amy Winehouse gestorben. Der britische Regisseur Asif Kapadia („Senna“) lässt in seinem neuen Dokumentarfilm Freunde und Familie der Sängerin ausführlich zu Wort kommen.

Stuttgart - Mit seinem ersten Dokumentarfilm „Senna“ hat der britische Regisseur Asif Kapadia vor fünf Jahren weltweit Aufsehen erregt. Nach dem verunglückten Rennfahrer widmet er sich in seinem neuen Film einem weiteren früh verstorbenen Weltstar. „Amy“ ist eine Dokumentation über die begnadete Londoner Soulsängerin Amy Winehouse, die 2011 mit 27 Jahren an einer Alkoholvergiftung starb. In Großbritannien und den USA brach der Film bereits am Startwochenende manchen Kassenrekord. Wir trafen Kapadia anlässlich der Weltpremiere von „Amy“ bei den Filmfestspielen in Cannes.
Mr. Kapadia, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie das erste Mal einen Song von Amy Winehouse gehört haben?
Ganz ehrlich? Nein, tue ich nicht. Ich vermute mal, das müsste „Stronger than me“ gewesen sein, ihr erster Hit. Aber ich könnte es nicht beschwören. Woran ich mich auf jeden Fall erinnere, ist die Tatsache, dass ihr erstes Album „Frank“ bei mir im Regal stand. Das hatte ich geschenkt bekommen, von meinem Bruder, wenn ich mich richtig erinnere. Mich bewusst hingesetzt und es angehört habe ich allerdings erst, als ich mit der Arbeit an „Amy“ begann.
Was war dann der Anreiz für Sie? Wollten Sie nach „Senna“ erneut von einem tragisch früh verstorbenen Prominenten erzählen?
Genau das natürlich eigentlich nicht. Und selbstverständlich ahnte ich, dass clevere Journalisten diese morbide Parallele sofort aufgreifen würden. Aber das war nicht der Aspekt, um den es mir ging. Für mich war entscheidend, dass es bei „Amy“ nicht um Sport ging. Nach „Senna“ meldeten sich viele bekannte Sportler, die von mir porträtiert werden wollten, doch ich wusste, dass ich meine Erfahrungen von „Senna“ vermutlich nicht noch einmal würde wiederholen können. Eines Tages meldete sich dann mein Produzent James Gay-Rees und erzählte, dass Universal Music sich bei ihm gemeldet habe.
Sie holen im Film die Texte von Winehouses Songs auf die Leinwand. Eine Entscheidung, die erst nach dem Dreh fiel?
Oh nein, dazu entschied ich mich schon ziemlich früh. Denn wer die Texte liest, versteht Amys Leben. Das war wirklich das Einzige, worüber sie geschrieben hat. Viele Fans haben womöglich nie darüber nachgedacht, dass sie all das selbst verfasst hat. Aber alles, was man wissen muss, findet man in ihren Songs. Für einen Moment hatte ich gedacht, dass es vielleicht überflüssig ist, die Lyrics auch tatsächlich einzublenden. Doch sobald man sie weglässt, fängt man als Zuschauer an, den Kopf im Takt der Musik zu bewegen und mehr der Melodie als dem Text zu folgen. Man hört dann einfach anders zu, und wir wollten verhindern, dass die Texte womöglich doch untergehen.
Die Frage nach der Schuld an Winehouses Tod steht in „Amy“ die ganze Zeit im Raum. Jeder Ihrer Gesprächspartner fühlt sich auf gewisse Weise mitverantwortlich oder sollte es zumindest tun . . .
Genau das war meiner Meinung nach für die meisten auch der Grund, überhaupt mitzuwirken. Das war fast eine kathartische Erfahrung, denn alle hatten etwas, das sie sich von der Seele reden wollten. Jeder in ihrem Umfeld trägt eine gewisse Wut und Schuld mit sich herum. Genauso übrigens auch das Publikum. Wir alle haben schließlich Amys Schicksal in den Medien verfolgt und damit diese ganze Geschichte befeuert. Von daher war es durchaus beabsichtigt, dass das Thema der Verantwortlichkeit im Film spürbar ist und wir ein Gefühl dafür vermitteln, dass wirklich alle irgendwie involviert sind.
War es leicht, die Menschen aus Amys privatem Umfeld zum Reden zu bekommen?
Was heißt schon leicht?! Ich habe alle kontaktiert und erst einmal um fünf Minuten ihrer Zeit gebeten, sei es am Telefon oder auf einen Kaffee. Manche hatten „Senna“ gesehen, das half natürlich. Bei anderen dauerte es Monate, bis sie bereit waren, mir zu vertrauen und nicht jedes Treffen wieder absagten. Alle, die letztlich bereit waren, für den Film mit mir zu sprechen, habe ich dann in einem Tonstudio in Soho getroffen. Ich war der Einzige, der mit ihnen im Raum war; ein Tisch und ein Mikrofon, mehr nicht. Der Tonmischer saß immer nebenan, das Licht war abgedunkelt. Dann haben wir uns einfach unterhalten. Das hatte immer etwas von einer Therapiesitzung, denn tatsächlich hatten zwar alle ganz viel zu erzählen, aber all diese Gefühle von Trauer, Wut oder Angst mussten erst einmal beiseitegeschoben werden.
Trotzdem gab es von Familie Winehouse anlässlich der Premiere von „Amy“ plötzlich Kritik am Film. Was sagen Sie dazu?
Der Schlüssel dazu liegt vermutlich schon im Titel des Films. Mir ging es um Amy und nur um sie. Ich wollte ihre Geschichte erzählen und die Aufmerksamkeit zurück auf sie lenken. Denn nicht erst mit ihrem Tod ging es vielen Leuten darum, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das war schon zu ihren Lebzeiten so, und deswegen muss es auch schon furchtbar schwierig gewesen sein, Amy Winehouse zu sein. Alle wollten was anderes von ihr und zerrten sie in die unterschiedlichsten Richtungen, vielen ging es zu sehr um die eigene Agenda, nicht um Amys Wohlergehen.
Während der Aufzeichnungen beschwerte sich aber noch keiner der Beteiligten?
Absolut nicht. Von den rund 100 Personen, mit denen ich letztlich gesprochen habe, hat niemand ein Interview abgebrochen oder sich über die Gesprächsrichtung beschwert. Alle haben danach die Interviews frei gegeben. Und auch alles andere, was ich zeige, habe ich mir ja nicht ausgedacht. Das ist Archivmaterial und war alles so im britischen Fernsehen zu sehen. Man kann mir also nicht vorwerfen, dass ich mir etwas ausgedacht habe oder spekulieren würde.