Romanze, Ostalgie-Satire, Komödie – „Anderst schön“ mit Charly Hübner ist alles zusammen. Doch die Unentschiedenheit nimmt man dem Film gar nicht übel.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Schwerin - Es war einmal ein…“ – wenn ein Fernsehfilm so anfängt, ist in der Regel höchste Vorsicht geboten: Die Märchenfloskel verheißt oft nichts Gutes. „Es war einmal – ein Hausmeister. Der lebte in einem prächtigen Schloss in unermesslichem Reichtum“. So fängt „Anderst schön“ an; die Hauptfigur Roger, gespielt von Charly Hübner, spricht die Sätze aus dem Off. Sie stimmen aber nur zur Hälfte – und die Vorsicht kann der Zuschauer bei diesem Freitagsfilm beiseiteschieben: ein weiteres Mal, dass sich auf dem Degeto-Sendeplatz mehr als nur seichte Wohlfühlkost findet. Roger ist zwar Hausmeister, doch er lebt in keinem Schloss, sondern in einem Plattenbau in Schwerin, der, wie die ganze Siedlung, dem Abriss geweiht ist – die Bagger sind schon am Wüten.

 

Dass er seine „kleine Geschichte“ als Märchen erzählt, ist nur konsequent. Roger, fast vierzig, glaubt fest an das Credo seines Vorgängers Heinz: „Am Ende wird immer alles gut. Und wenn’s nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende“. Er „ist ein Kind geblieben im Herzen und im Leben“, beschreibt Charly Hübner in einem Statement zum Film seine Figur. Der bullige Riese behauptet allen Ernstes, dass man vom Hochhausdach das Meer sieht, und er liebt Tiere über alles. Deshalb kauft er dem schlitzohrigen türkischen Bewohner, der immer mal wieder ein Schaf durchs Haus führt, um es angeblich zum Schächter zu bringen, einfach ab.

Vor allem aber ist Roger ein Kind, weil ihm die Frau zum Mannsein noch fehlt. Sein Leben ist „‘n bisschen einsam“, und so hat er sich auf dem Dach seines Wohnsilos ein schrulliges Spießer-Refugium eingerichtet: mit Schafgehege, Sonnenblumen und Plastikstuhl. Dorthin flüchtet er sich, wenn die Mutter (Renate Krößner), mit der er zusammenwohnt, mal wieder zu viel Wodka intus hat. Einen Vater hat er nie gehabt, und „Mutti“, die ein schweres Alkoholproblem hat, kann den Sohn nicht loslassen.

Das Abriss-Kommando hat ihr Leben ereilt

Kinder sind aber auch die anderen skurrilen Gestalten, die diesen dem Untergang geweihten „wilden Osten“ bevölkern: Ein Lehrer-Ehepaar, früher mal Stasi-Spitzel, pirscht um die Plattenbauten und will mit lndianer-List den Abriss verhindern; ein an Parkinson erkrankter ehemaliger Geigenbauer (Hermann Beyer) rettet sich mit Hund und Sarkasmus vor Einsamkeit und Verfall. Und Heidi (Steffi Kühnert), die Freundin von Rogers Mutter und Schlager-Sternchen zu DDR-Zeiten, trauert den alten Zeiten nach. Es sind Gescheiterte, Gestrandete; das Abriss-Kommando hat längst ihr Leben, ihre Identitäten, ihre Hoffnungen ereilt. Ebenso ins Bild der Ostalgie-Tristesse passen die perspektivlosen Jugendlichen, die sich die Zeit mit Hakenkreuz-Schmierereien vertreiben oder der prügelnde Familienvater, der immer wieder mal die Polizei auf den Plan ruft.

Es ist eine bittere soziale Wirklichkeit, die der Regisseur Bartosz Werner in unaufgeregten, verlangsamten Bildern einfängt. Doch wie Roger, der diese Abgründe mit seinem Träumerblick nicht wahrnehmen kann oder will, lässt er den Figuren und dem Stück DDR-Utopie, das dort verfällt, die Würde.

So bildet die Armut- und Abschiedsszenerie nur das ziemlich ungewöhnliche Setting einer gewöhnlichen TV-Romanze, die der Drehbuchautor Wolfgang Stauch erzählt: Zwei einsame Herzen finden zueinander, zuvor gilt es aber, einige Hindernisse zu überwinden. Die alleinerziehende, geschiedene Mutter, die mit ihrer halbwüchsigen Tochter in Rogers Hochhaus einzieht und als Wirtin die Siedlungskneipe „Conti“ übernimmt, muss dem großen Träumer im blauen Kittel als Prinzessin erscheinen. Ellen (Christina Große) bringt ihre eigenen Probleme mit: Der Vater ihres Kindes will von seiner Tochter nichts wissen, weil er eine neue Familie hat; das Geld ist knapp, und sie verdient sich mit dem Erotik-SMS-Service „East Country Love“ was dazu. Als Svenja hat sie bald Roger, der sich in der realen Begegnung als unbeholfener Verehrer erweist, an der Angel, ohne dass der freilich weiß, wer hinter den Handy-Botschaften steckt. Dabei schafft es Bartosz Werner gerade noch rechtzeitig zu verhindern, dass die in farbig unterlegten Kästchen eingeblendete SMS-Kommunikation den dramaturgischen Elan völlig ausbremst.

Mit liebevollem Respekt

Romanze, Ostalgie-Satire, Sozialdrama, Komödie – „Anderst schön“ ist alles zusammen. Dass sich der Film für kein Genre entscheiden kann, nimmt man ihm nicht übel; was alles zusammenbindet ist die Haltung: Der Film begegnet seinem Milieu mit liebevollem Respekt. Dabei gelingt es Werner und Stauch, der Ost-Mentalität habhaft zu werden: Sie zeigen die Plattenbaubewohner als Lebenskünstler, die den Fesseln der Wirklichkeit mit ihrer Unkonventionalität begegnen.

Für Charly Hübner ist Roger eine Paraderolle; stumm, nur mit seinem Blick und dem Spiel der Mundwinkel, kann er die inneren Konflikte des schüchternen Hausmeisters nach außen tragen, so wie er es als Geschichte schreibender DDR-Offizier zuletzt so großartig in der Grimme-preisgekrönten Tragikomödie „Bornholmer Straße“ getan hat. Christina Große als Ellen ist ihm ein ebenbürtiges Gegenüber. Als Nachwuchstalent überzeugt Emilie Neumeister als Jill: Sie, das Kind, hat einen sehr erwachsenen Blick auf die Widrigkeiten und Wahrheiten des Lebens.

ARD,
20.15