“Die entscheidenden Innovationen im digitalen Entertainment finden derzeit jenseits der Leinwand statt“, sagt Andreas Hykade, der Leiter des Ludwigsburger Animationsinstituts und der Digitalkonferenz FMX, die am Dienstag im Stuttgarter Haus der Wirtschaft beginnt.

Stuttgart - Auf der Digitalkonferenz FMX, die am Dienstag im Stuttgarter Haus der Wirtschaft beginnt, werden die Bildwelten und die Realitäten von morgen verhandelt. Andreas Hykade, der Leiter des Ludwigsburger Animationsinstituts und der Digitalkonferenz spricht im Interview über virtuelle Realität und was es für Neuerungen auf der FMX zu erleben gibt.

 
Herr Hykade, lange haben die Spezialisten für visuelle Effekte (VFX) in Spielfilmen und Serien die FMX beherrscht – nun lautet Ihr Motto „Beyond the Screen“, jenseits der Leinwand, und Themen wie Virtuelle Realität (VR) drängen in den Vordergrund. Wo steht die Technik?
Die FMX ist ein Buch und wir fügen jedes Jahr ein neues Kapitel hinzu, das so interessant sein muss, dass man weiterliest. Wir zeigen weiterhin das gesamtes Spektrum der VFX und der Animation, wir haben die „Schlümpfe“, Peter Lord von Aardman kommt, Luc Bessons neues Science-Fiction-Spektakel „Valerian“ wird vorgestellt, und Volker Engel berichtet am Filmakademie-Tag am Mittwoch über seine „Journey from LB to LA“. Die entscheidenden Innovationen im digitalen Entertainment finden derzeit aber jenseits der Leinwand statt und beeinflussen und bereichern auch traditionelle Bereiche wie VFX und Animation. VR braucht neue Kunstformen: Welches Buch schreibt man für einen 360-Grad-Raum, wie führt man die Kamera, wie Regie, was braucht man für ein Design?
Oft wird die Gefahr beschworen, Menschen könnten sich in der VR verlieren, den Bezug zur Realität einbüßen…
Die Sache mit der virtuellen Realität ist ja nichts Neues. Wenn in der sixtinischen Kapelle Engel aus den Wänden treten, entführen die uns auch in virtuelle Welten. Das hatte damals eine enorme Intensität, die Leute haben über die Engel fantasiert, und die Kirche wollte ihnen einreden, das wäre echt. Heute sind wir dazu in der Lage, uns bewusst mit virtuellen Realitäten auseinanderzusetzen, wir verlieren uns also nicht mehr so leicht wie die Menschen früher. Heute geht es eher um die künstlerische Herausforderung, die Nutzer vergessen zu machen, dass das nicht echt ist. Wir hatten voriges Jahr die Simulation eines Seiltanzes in schwindelnder Höhe von einem Twin Tower zum anderen, und ich konnte keinen einzigen Schritt machen, so echt wirkte das. Aber ich kenne meine Grenze und weiß genau, wann es mir reicht, wann ich die Brille abnehmen will. Man darf das Publikum nicht unterschätzen, das Bewusstsein ist enorm gewachsen seit Michelangelo.
Wird VR sich in absehbarer Teil auf breiter Basis durchsetzen?
VR wird schon bald ein ganz natürliches Medium sein neben Büchern, Filmen und Games. Im Zentrum steht jetzt die Frage, wie man die Isolation des Mediums überwinden kann, aber auch dafür gibt es schon Ansätze. Womöglich bietet die Augmented Reality (AR) dafür Lösungen, die Erweiterung der Realität durch digitale Inhalte auf Mobilgeräten oder spezielle Brillen. Wer AR nutzt, bewegt sich ja immer noch in der Realität, hat aber zusätzlich digitale Inhalte zur Verfügung.
Was für VR-Neuerungen zeigen Sie bei der FMX?
Der Oscar-Preisträger Saschka Unseld, einer unserer Absolventen, hat in „Dear Angelica“ die Kindheitserinnerungen eines Teenager-Mädchens als VR-Erfahrung visualisiert. Er hat auch ein digitales Werkzeug namens „Quill“ - englisch für „Schreibfeder“ - entwickelt, mit dem man im virtuellen Raum malen kann. Das zeigen wir. Es geht nicht mehr darum, virtuelle Räume hyperrealistisch zu gestalten, sondern künstlerisch anspruchsvoll. Da kommen die unabhängigen Animationskünstler ins Spiel. Am 4. Mai bespielt die VFX-Koryphäre Jeffrey Kleiser das Planetarium. Er hat die Effekte für den ersten „Tron“- und einige „X-Men“-Filme gemacht, heute entwickelt er Kuppelprojektionen und VR-Projekte – so entstehen neue Berufsfelder.
Was haben Autos – Stichwort: Automotive – und die FMX miteinander zu tun?
Es ist enorm, was da gerade passiert, das ist eines der Themen fürs digitale Entertainment der Zukunft, wenn man nicht mehr selbst Autofahren muss. Primär geht es aber um die Synergien zwischen Automobil- und digitaler Bewegtbildbranche – hier präsentieren wir unter anderem das System „BlackBird“, das es ermöglicht, einen Clip zu drehen mit einem neuen Auto, bevor dieses überhaupt gebaut ist – und zwar so, dass jede reale Lichtreflexion exakt stimmt.
Wie macht sich der Nachwuchs an Ihrem Institut - und welche Rolle spielt er bei der FMX?
Junge Menschen brauchen die Möglichkeit, originäre Impulse weiterzverfolgen, künstlerisch, technisch, geschäftlich. Deshalb bin ich sehr glücklich über die Initiative „VR Now“ des Kunstministeriums und der MFG Film- und Mediengesellschaft, die es unseren Absolventen ermöglicht, am Animationstitut originäre VR-Konzepte zu Prototypen zu entwickeln. Zwei Ergebnisse können wir zeigen: Martin Nerurkar hat mit „Wheelhouse“ eine spielerisch Simulation entwickelt, in der Menschen mit zwei gesunden Beinen am eigenen Leib erleben können, wie es ist, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, wie geschickt man da sein muss. Und Jonas Kirchner und Benjamin Rudolf von Koshu VR haben nach Illustrationen des Stuttgarter Steam-Punk-Künstlers Felix Mertikat ein Holodeck für die Hosentasche entwickelt.
Ein weiterer Schwerpunkt sind „Digital Humans“. Was kommt da auf uns zu? Arnold Schwarzenegger war 2015 in „Terminator: Genesys“ bereits wieder in jung zu sehen.
Das war nicht so schwierig, denn er hat ja schon 1984 gespielt wie ein Roboter, weil seine Figur einer war. Es gibt auch einen Schokoladen-Werbeclip mit Audrey Hepburn, in dem sie sehr püppchenhaft wirkt. Für „Rogue One“ wurde sehr aufwendig der gestorbene Peter Cushing reanimiert. Je stärker der persönliche Ausdruck ist, umso schwieriger wird das. Ich glaube, digitale Charaktere werden niemals wirkliche Schauspieler ersetzen, die echte menschliche Note ist einfach effektiver. Wirklich interessant wird es, wenn man aufhört, Menschen zu imitieren und künstlerisch eine ganz neue Art von Charakteren erzählt, wenn das virtuelle Wesen sein Eigenleben bekommt . Der Animationsfilmer Chris Landreth zum Beispiel geht offensiv mit der Problematik um und verwandelt die Schwäche des „uncanny valley“, des Unwohlseins beim Anblick digital generierter Menschen, in eine Stärke.