Ein 47-Jähriger steht wegen versuchten Totschlags vor Gericht. Er soll seine Partnerin in Ludwigsburg-Grünbühl mit dem Messer angegriffen und verletzt haben. Doch am ersten Verhandlungstag beschleichen die Kammer Zweifel.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Was ereignete sich wirklich in der Nacht vom 14. auf 15. Dezember 2018 in Ludwigsburg-Grünbühl? Stach ein heute 47-Jähriger mit einem Messer auf seine damals 27 Jahre alte Partnerin ein, drohte er ihr, er werde sie „abstechen“, und verfolgte er sie nach ihrer Flucht aus der Wohnung, bis sie sich blutend zu ihrer Ex-Schwiegermutter retten konnte? Der arbeitslose Kommunikationselektroniker steht seit Donnerstag wegen versuchten Totschlags vor der Schwurgerichtskammer des Stuttgarter Landgerichts. Doch während des ersten Verhandlungstages kamen den drei Richtern, zwei Schöffen und dem Staatsanwalt Zweifel am vermeintlichen Tathergang.

 

Der Blick in menschliche Abgründe

Der Angeklagte – er war einige Stunden nach der Auseinandersetzung von einem Sondereinsatzkommando der Polizei überwältigt und in Handschellen abgeführt worden – , erzählte einen so anderen Hergang, dass der Staatsanwalt irgendwann ratlos kommentierte: „Das unterscheidet sich in allen Punkten von dem, was in der Anklage steht.“ In der Version des 47-Jährigen wollten er und seine Partnerin an jenem Tag die Wohnung renovieren. Sie waren seit Sommer liiert, nun wollte sie bei ihm einziehen. Ihnen saß allerdings die Sorge im Nacken, das Jugendamt könne die Zustände für nicht kindgerecht befinden – mit einziehen sollte der kleine Sohn der Frau aus einer früheren Beziehung. Sie seien im Möbel-, Karton- und Tütenchaos erschöpft und angespannt gewesen, der Streit habe sich an einer belanglosen Bemerkung seinerseits entzündet.

Dem Richter reißt der Geduldsfaden

Die Frau habe dann ihre Mutter angerufen und in seiner Gegenwart „Blödsinn“ über ihn erzählt und ins Smartphone geschrien, er greife sie mit einem Messer an. „Da war aber kein Messer im Spiel“, sagte der Mann. Nur ein Plastikspachtel. „Aber sie macht gerne mal ’ne Show, das bin ich gewohnt“, meinte er über die Frau, mit der er immer noch verlobt ist. Bei einem Gerangel seien beide gestürzt, dabei hätten sich auch beide verletzt. Von einem Messerangriff könne nicht die Rede sein. Er habe aber ihr Handy zertrümmert, das ihm ohnehin auf den Geist gegangen sei. Die anschließende „Flucht“ zur Ex-Schwiegermutter habe so ausgesehen, dass er und seine Partnerin auf einer Straßenbank noch eine Zigarette geraucht hätten, bevor jeder seiner Wege ging.

Die Frau sagte im Zeugenstand, sie habe sich nach der Auseinandersetzung „im Stress, in Angst und unter Druck“ gefühlt. Der Abend damals sei einfach „blöd gelaufen“. Sie habe aber seitdem schon ein paarmal aufklären wollen, dass es doch keine Messerattacke gewesen sei. Das war der Punkt, der die arg strapazierte Geduld des Vorsitzenden Richters Norbert Winkelmann kippte. „Sie wissen, dass das strafrechtlich relevant für Sie werden kann, wenn herauskommt, dass das Schwurgericht wegen einer falschen Verdächtigung ein versuchtes Tötungsdelikt verhandelt“, wies er sie zurecht. Die Frau reagierte herausfordernd. „Dann ist das so. Dann hole ich mir einen Anwalt. Kein Problem“, meinte sie patzig.

„Du bist das Allerletzte für mich“

Die Mutter der Frau, die während des vermeintlichen Messerangriffs mit ihrer Tochter telefoniert hatte, sieht keinen Grund, dieser nicht zu glauben. Der Angeklagte mache der Tochter Angst und manipuliere sie, deshalb sage sie womöglich jetzt nicht mehr, was sich wirklich abgespielt habe, vermutete die Mutter im Zeugenstand. „Du bist das Allerletzte für mich“, zischte sie den Angeklagten an, „aber du wirst schon kriegen, was du verdienst.“ Norbert Winkelmann musste die Zeugin zur lautstark zur Ordnung rufen. Die Verhandlung wird fortgesetzt.