Durch die Initiative „Querdenken-731“ befürchtet Ulm um eine Beschädigung des Ansehens der Geschwister Scholl. „Sich mit ihnen auf eine Stufe zu stellen und von ,Widerstand’ zu salbadern, ist anmaßend“, so Oberbürgermeister Gunter Czisch.

Ravensburg - Ulm fürchtet um eine Beschädigung des Ansehens der Geschwister Scholl durch die Initiative „Querdenken-731“. In der „Schwäbischen Zeitung“ (Freitag) wird die Leiterin des Dokumentationszentrums im früheren Konzentrationslager Oberer Kuhberg, Nicola Wenge, mit den Worten zitiert, dass „die zeitweisen Freiheitseinschränkungen einer funktionierenden Demokratie“ mit der NS-Diktatur verglichen würden. Sie sprach von einer „empörenden Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen“.

 

Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) sagte demnach: „Die Form, wie auch in AfD- und Identitären-Kreisen Zitate aus den Flugblättern von Hans und Sophie Scholl gebraucht werden, stellt für mich einen Missbrauch dar, geradezu eine Verhöhnung der Ideale dieser jungen Menschen, die sich unter Einsatz ihres Lebens gegen ein menschenverachtendes Regime gestellt haben. Sich mit ihnen auf eine Stufe zu stellen und von ,Widerstand’ zu salbadern, ist anmaßend.“

Neffe trat als Redner auf

Die Geschwister Scholl stammen aus Ulm und genießen wegen ihres Widerstands in der Zeit der Nationalsozialismus in der Stadt höchstes Ansehen. Sie gehörten zur „Weißen Rose“, die mit Flugblätter zum Widerstand gegen den NS-Staat mobilisieren wollte. Für Aufsehen hatte gesorgt, dass der Leutkircher Kreisrat Julian Aicher (ÖDP), einer von sechs Neffen der Geschwister Scholl, als Redner einer Querdenker-Veranstaltung aufgetreten war.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Martin Rivoir nennt Aichers Auftritt „erschütternd, stillos und unappetitlich“. Rivoir wörtlich: „Aicher kann in unserem Land machen, was er will, aber sein Treiben durch einen Hinweis auf seine Tante aufwerten zu wollen, ist unanständig.“ Der Landtagsabgeordnete Jürgen Filius (Grüne) betonte, die Querdenken könnten nur demonstrieren, weil sie in einer Demokratie lebten.

„historisch-politische Erbschleicherei“

Unterdessen warfen 40 Prominente aus der Region in einem Papier den Querdenkern „historisch-politische Erbschleicherei“ vor. Zu den Unterzeichnern gehört auch Florian Aicher, ein Bruder des Redners. In der Erklärung heißt es, es dürfe und müsse darüber diskutiert werden, ob die Maßnahmen gegen Corona richtig gewesen seien. Wer den politisch Handelnden unterstelle, sie würden leichtfertig und mit „finsteren Absichten“ eine Diktatur in Deutschland einführen wollen, der „hat offensichtlich so große Probleme mit der Wahrnehmung der Realität, dass man ihn nicht mehr ernst nehmen kann“.