Es kribbelt bei Anna Loerper – und Markus Baur weiß, warum: „Eine Heim-WM toppt alles“, sagt der Kapitän der Handball-Weltmeister-Mannschaft von 2007 im Gespräch mit der aktuellen Kapitänin.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Markus Baur war der Kapitän und Spielmacher der deutschen Handball-Weltmeister-Mannschaft von 2007. Anna Loerper ist Kapitänin und Spielmacherin des aktuellen Frauen-Nationalteams. Vor der an diesem Freitag (19 Uhr/Sport 1) mit dem Eröffnungsspiel Deutschland – Kamerun in Leipzig beginnenden WM äußern sie sich über eine mögliche Wiederholung des Wintermärchens.

 
Herr Baur, Sie können sich bestimmt vorstellen, wie sich Anna Loerper derzeit fühlt?
Baur: (Schaut zu seiner Nebensitzerin) Ich denke, es kribbelt in ihr. Auch bei mir war die Anspannung vor der Heim-WM enorm groß. Das ist ein einmaliges Erlebnis. Das größte für jeden Sportler.
Größer als Olympische Spiele?
Baur: Olympische Spiele haben ein Riesenflair. Aber dort spielst du auch mal in halb leeren Hallen, und von denen, die da sind, schauen 80 Prozent eher teilnahmslos zu. Bei einer Heim-WM steppt der Bär, das toppt alles. Loerper:   (Lächelt und nickt) Ich kann es kaum erwarten, bis es losgeht. Die Vorfreude ist riesig. Ich merke schon seit Langem, dass etwas ganz Besonderes auf uns wartet.
Entsprechend groß ist der Druck.
Baur: Das war bei uns 2007 keinen Deut anders. Auch damals lautete die Vorgabe des Verbands: Das Halbfinale ist Pflicht. Wir wussten, das kann gelingen, muss aber nicht. Zumal wir eine richtig bescheidene Vorbereitung mit zig Verletzten und schlechten Testspielen hatten. Dass dieser Hype, diese wahnsinnige Euphorie aufkommt, war nicht abzusehen.
Wo haben Sie, Frau Loerper, den WM-Triumph 2007 erlebt?
Loerper: Ich saß beim Endspielsieg gegen Polen tatsächlich in der Arena in Köln mit dem damaligen Bundestrainer Armin Emrichund dem Pressesprecher drei Reihen hinter der Trainerbank. Wenn ich daran denke, wie das alles ablief, bekomme ich heute noch Gänsehaut.
Haben Sie nach Ihrer Wadenverletzung kurz gedacht, auch die Frauen-WM auf der Tribüne erleben zu müssen?
Loerper: Als ich mich am 1. November im Training bei meinem Verein TuS Metzingen verletzte, ist mir schon kurz in den Kopf geschossen: Sch. . ., das war’s mit der Heim-WM. Aber der Muskelfaserriss wird rechtzeitig auskuriert sein.
Baur: Und wenn du das Auftaktspiel am 1. Dezember gegen Kamerun (Anm. d. Red.: 19 Uhr in Leipzig/live auf Sport 1) verpasst, ist auch nicht viel passiert.
Welche Bedeutung hat diese WM?
Loerper: Ich habe seit 2005 an allen großen Turnieren mit Deutschland teilgenommen, aber für mich persönlich ist die Heim-WM sicherlich das i-Tüpfelchen auf meine internationale Karriere. Und für den Frauenhandball insgesamt hoffentlich eine Initialzündung.
DHB-Vizepräsident Bob Hanning sprach von der letzten Chance.
Baur: Das ist Quatsch. Egal wie es ausgeht, es gibt keinen Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Dafür hat sich in den vergangenen Jahren in Sachen Strukturen, Ausbildung und Eliteförderung zu viel entwickelt, ähnlich wie bei den Männern.
Loerper: Das sehe ich genauso. Die WM ist eine riesige Chance für uns, den Frauenhandball populärer zu machen, aber die letzte Chance ist es nicht. Auch wenn Bundestrainer Michael Biegler nach der WM aufhört, hat er gemeinsam mit Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld die Konzepte für die Zukunft erarbeitet. Auch was die Zusammenarbeit mit der Bundesliga betrifft, greift ein Rädchen ins andere.
Für die Bundesliga interessiert sich doch aber nur ein Spartenpublikum. Muss nicht mindestens das Halbfinale erreicht werden, damit die Chance besteht, dass die Euphorie in die Vereine hinüberschwappt?
Baur: Je erfolgreicher die Heim-WM aus deutscher Sicht abläuft, desto mehr befeuert dies die Entwicklung des Frauenhandballs. Der deutsche Handball braucht zwei starke Nationalmannschaften. Sie sind das Zugpferd dieser olympischen Sportart.
Loerper: Möglichst viele Menschen sollten in Deutschland Handball spielen. Dazu benötigt man so viele Kinder wie möglich. Also ist es auch für das Gesamtprodukt Handball wichtig, den Mädchen- und Frauenhandball zu fördern.
Ähnlich wie in Skandinavien?
Loerper: Ich habe zwei Jahre in Dänemark gespielt, dort ist die Popularität ungleich höher. Baur: In Dänemark mussten die Männer viel leisten, um überhaupt auf eine Stufe mit den Handballerinnen zu kommen.
Loerper: Und in Norwegen haben die Frauen sogar die Nase vorne.
Woran liegt’s?
Baur: Der Status der Frau in der Gesellschaft ist in Skandinavien ein ganz anderer. Es gibt viel mehr Frauen in Führungspositionen.
Loerper: Wenn ich in Deutschland erzähle, dass ich Handball spiele, dann kommt automatisch die Anschlussfrage: Ach ja? Und womit verdienst du dein Geld? Eine solche Frage würde in Dänemark niemand stellen.
Baur: (Schmunzelt) Also die Frage, was ich außer Handball sonst so mache, bekomme auch ich gestellt.
Was antworten Sie?
Baur: Nichts. Es reicht mir. Jemand, der nicht sportaffin ist, kann sich den Aufwand gar nicht vorstellen, den man betreibt. Aber im Vergleich zu Leichtathleten, Ruderern oder Turnern jammern wir noch auf relativ hohem Niveau.
Loerper: Von uns Handballerinnen gehen 90 Prozent einem anderen Job nach.
Herr Baur, trotzdem haben Sie Ihrer Tochter Chiara nicht vom Handball abgeraten.
Baur: Warum sollte ich? Handball macht ihr viel Spaß. Sie hat zwar erst mit elf Jahren begonnen, aber sie ist sehr ehrgeizig.
Jetzt ist sie 18 und gehört zum Kader von Zweitliga-Aufsteiger FSG Waiblingen/Korb. Reicht’s zur Nationalspielerin?
Baur: Nie! Dafür ist sie mit 1,63 m auch zu klein.
Loerper: Moment. Vorsicht: Ich bin auch nur 1,64 m groß.
Baur: Okay, ich nehme alles zurück.