In einem munteren Interview auf ProSieben beschreibt sich Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (40) als Politikerin, die nah an der Lebensrealität der Menschen ist. Und sie enthüllt wenige private Details.

Stuttgart - Etwas verkrampft hatte Annalena Baerbock bei ihrer Vorstellung als Kanzlerkandidatin am Vormittag in Berlin noch gewirkt, am Abend im dunklen Studiosaal des TV-Senders ProSieben bei einem 45-Minuten-Interview wirkte sie aber souverän, locker und schlagfertig. Das lag vielleicht auch an den beiden Moderatoren Katrin Bauernfeind und Thilo Mischke, die ziemlich unverblümte und manchmal ins Derbe abgleitende Fragen stellten, beispielsweise „ob sie wirklich von der Kabine“, wo sie Tomatensaft ausgeschenkt habe, jetzt ins Cockpit wechseln und da „einen „Jumbo fliegen“ wolle. Und ob ihr „der Arsch nicht auf Grundeis gehe“. Keine Spur, natürlich traut sie sich den Job zu. Annalena Baerbock strotzte auch in diesem Interview nur so von Selbstbewusstsein und allzu freche Fragen textete sie einfach mit Antworten aus ihrem Wahlprogramm zu.

 

Im Hinterzimmer – auf Bitten der grünen Parteifreunde

Auf die Frage, ob denn Robert Habeck und sie da nicht „ein Soloding“ fern der grünen Basisdemokratie durchgezogen hätten und da was „im Hinterzimmer ausgetüftelt“ worden sei, verwies sie auf das Grundgesetz. Das gestatte nun mal nur eine Person im Kanzleramt, und die Grünen hätten ihnen signalisiert, dass sie es „eigentlich beide gut könnten“ und gebeten, man möge bitte eine Lösung finden, damit die Partei sich in der K-Frage „nicht selbst zerlegt“.

In der Corona-Krise fallen Familien hinten runter

Sie wolle sich beraten lassen, sie wolle auch selbstkritisch sein, so Baerbock. Ihre Zuversicht aber schöpft sie daraus, dass sie ihrer Ansicht nach nahe „an der Lebenserfahrung und Realitätserfahrung“ der Menschen sei. Sie wisse doch aus eigener Anschauung als Mutter von zwei Kindern, wie es in den Kitas und Schulen vor Ort so zugehe, dass der Bund gar nicht für die Schulen zuständig sei und dies eine Länderkompetenz sei, darauf machten die Moderatoren Baerbock nicht aufmerksam. Jedenfalls hakten sie bei Corona nach, und da kündigte Annalena Baerbock an, es gehe darum, die Infektionswelle zu brechen, die neuen Bundesregeln müssten auch für die Arbeitswelt gelten und sie habe das Gefühl, dass „in der Corona-Krise die Kinder und Familien immer hinten runter fallen“.

Man wolle die Leute „nicht zu besseren Menschen machen“, sagt Baerbock

Die Bundesregierung fahre im Übrigen immer nur auf Sicht, die Grünen aber hätten längst einen Stufenplan vorgelegt. Nach dem Pflegekräftemangel und ihren grünen Visionen für 2030 – theoretisch also nach zwei Amtsperioden als Kanzlerin – ging es um die Frage, ob die Grünen neuerdings die Scheu hätten, eine Verbotspartei zu sein. Man wolle ab 2030 keine Neuzulassungen von Autos mit Verbrennermotoren mehr, sagte Baerbock: „Aber es geht nicht darum, die Leute zu besseren Menschen zu machen, sondern die Produktionsweisen auf Klimaneutralität umzustellen.“ Und das in der Industrie, bei der Mobilität, im Wohnungsbau und in der Landwirtschaft mit ihrer Massentierhaltung: „Das geht nicht immer sanft. Dinge müssen sich zentral ändern. Die Politik muss den Rahmen setzen.“ Das werde im Übrigen auch von den Unternehmen verlangt. Die aus Baden-Württemberg stammende Moderatorin Bauernfeind fragte daraufhin auf Schwäbisch: „Isch des Ländle dann das neue Ruhrgebiet?“ Nein, entgegnete Baerbock, bislang nähre sich der hiesige Wohlstand aufgrund des Exports von „alten Produkten“, in Zukunft werde dies mit klimaneutralen Produkten „Made in Germany“ geschehen.

Seit Montag hat sie Sicherheitsbeamte an ihrer Seite

Nur ganz selten ließ Baerbock etwas von ihrer privaten Gefühlswelt aufblitzen. Dass sie ihren Wechsel an die Bundesparteispitze vor drei Jahren mit der Familie besprochen habe, und dass sie ihren Kindern erklärte, dass es darum gehe, „die Regeln für unser Land zu machen“, erzählte sie. Und dass sie seit Montag mit der Kanzlerkandidatenkür auch Sicherheitsbeamte habe und „das macht schon etwas mit einem“. Als es um Hartz-4-Reformen ging, die „entwürdigenden Sanktionen“, eine Aufstockung der Sätze sowie die Tatsache, dass jeder Hinzuverdienst drastisch angerechnet wird und sich Mehrarbeit praktisch nicht lohne, sagte Baerbock, sie wisse aus eigener Anschauung als Jugendlicher wie das so sei. „Ich habe früher in einer Bäckerei mitgearbeitet, um mir Geld zu verdienen, weil ich allein und nicht mehr mit meinen Eltern in den Urlaub fahren wollte.“

„Haben Sie die Eier für Gespräche mit Erdogan“, fragt die Moderatorin

Am Ende ging es dann um Außenpolitik und Katrin Bauernfeind stellte dann wieder so eine Frage, die feinsinnigen politischen Beobachtern das Blut in den Adern gefrieren lässt: „Haben Sie eigentlich die Eier – oder besser gesagt, die Eierstöcke – um mit solchen Leuten wie Erdogan oder Lukaschenko zu verhandeln?“ Wieder einmal redete Baerbock dann flott über den verbalen Tiefschlag der Moderatorin hinweg, sie vermisse eine „klare Haltung“ der Bundesregierung im Blick auf China und Russland, sagte sie, und sie selbst würde „mit Härte und Dialog“ vorgehen. „Wir sehen doch gerade, dass der Kreml einen Menschen sterben lässt.“ Der russische Oppositionelle Nawalny müsse sofort behandelt werden. Auf die Frage, ob sie Kremlchef Wladimir Putin als einen Mörder bezeichnen würde – was US-Präsident Joe Biden indirekt getan hat – wich Baerbock dann allerdings aus: „Putin ist für das Regime verantwortlich, das Menschen ermorden lässt.“

Am Schluss dann der Vergleich mit Trainer Jürgen Klopp

Am Schluss setzte Baerbock noch eine fußballerische Pointe, als ihr der Satz von Markus Söder vorgehalten wurde, wonach sie, Baerbock, auch gut in eine Bundesregierung passen würde. Natürlich war das eine Anspielung auf ein Ministeramt, nicht auf die Kanzlerschaft. Aber Baerbock ignorierte das einfach und spielte ironisch auf ihre mangelnde Regierungserfahrung an, die kein Problem für sie ist: „Ich komme ja aus dem Sport. Auch Jürgen Klopp hatte als Trainer beim Beginn in Liverpool keinen Profischein als Trainer.“ Was sie nach vier Jahren als Kanzlerin geschafft haben will, das wollte Baerbock nicht sagen: „Ich will jetzt in den nächsten sechs Monaten solide arbeiten und einen leidenschaftlichen Wahlkampf machen.“