Über Annenmaykantereit reden derzeit alle - und viele nicht gut. Am Mittwoch hat die Band im LKA in Stuttgart gespielt. Viel Rummel und nix dahinter? Unsere Autorin versucht sich an einer versöhnlichen Antwort.

Stuttgart - Sie stehen bereits an der Haltestelle und fragen nach Tickets. Haben Schilder in der Hand und schauen einzelnen Grüppchen hinterher. 19.45 Uhr, Stuttgart Wangen, in 75 Minuten spielen Annenmanykantereit im LKA Longhorn. Und ihre Fans warten - mit oder ohne Eintrittskarte - vor oder in der Konzerthalle. Seit Monaten waren die 1500 Tickets für die junge Kölner „Boygroup“ bereits ausverkauft. Außerhalb des Südwestens gibt es ebenfalls keine Tickets mehr für die Tour zu kaufen.

 

Das ist beeinruckend für eine junge Band, die just ihr Debüt veröffentlichte. Auch erfüllen Henning May, Christopher Annen, Severin Kantereit und Malte Huck nicht die typischen Kriterien einer Boyband. Sie sind weder gecastet noch sind sie durch Plattenfirmen oder Klatschblätter bekannt geworden. Ihre Musik ist nicht rund, nicht tiefgründig oder besonders anspruchsvoll. Dennoch sind sie ein Popphänomen. Woran das liegt?

Es klingt nach Singer-Songwriter-Gedudel

Im LKA Longhorn flötet eine fröhliche Melodie durch den Raum. „Wohin du gehst sagst du nicht mehr / wenn wir uns sehen, fällt mir das Fragen schwer’“, krächzt Sänger Henning May mit seiner herrlich tiefen Stimme, ehe er erneut in die Melodica pustet. Gitarre, Bass und Schlagzeug schunkeln mit ein. Im Refrain ist das Publikum sogleich dabei. May hängt dabei wie ein Schluck Wasser in der Kurve, der Bass wirkt für den eher schmächtigen Jungen Malte Huck ein wenig zu groß.

Das spielt am Mittwochabend keine Rolle. Denn perfekt, so wirkt es, soll der Auftritt gar nicht sein. Die Jungs sind, 21, 22, 23 - unverbraucht und unberührt. Die Stimme Mays gleitet durch die Basstöne, ehe sie bricht, kratzt und spricht. Ein wenig unbeholfen, doch stets mit einem Lächeln schwingen die Jungs auf der Bühne vor sich hin.

Die Ansagen sind hingegen charmant. „Der Song ist kein Liebeslied“, sagt May zur Nummer, „Er ist nämlich für einen unserer Kumpels - wir haben Kumpels, ja!“

May singt oft von den Kumpels, vom WG-Leben oder einer Liebesbekanntschaft. Nach der Hälfte des Konzerts weiß man vom komplette Möblier Mays Studentenbude. Und die Texte sind einfach, ja - und kurz.

Ein wenig kann man auch die Akkordabfolgen nach den ersten Songs erahnen. Etwas, was Kritiker der ZEIT, FAZ oder des Musikexpress bemängelten. Das 2016 erschienene Debütalbum „Alles Nix Konkretes“ sei wie der Titel. Musikalisch gesehen mag das hier und da stimmen. Wäre da nicht das "Sommermärchen" der Band.

Ohne Plattenvertrag eine ausverkaufte Tour

Fernab jeglicher Bandprinzipien haben Annenmaykantereit alles anders gemacht und sind trotzdem oder gerade deswegen erfolgreich. Nach Anfängen als Straßenmusiker in Köln haben sie in Eigenregie Musikvideos produziert sowie Stücke geschrieben und vermarktet. 2013 erschien das Album „AMK“ im Eigenvertrieb.

Ohne Plattenvertrag haben sie bereits letztes Jahr eine ausverkaufte Tour gespielt - in Stuttgart waren sie in den Wagenhallen und noch früher in der Rosenau. Ihre Musik erfüllt dabei vielleicht das Popprinzip der wiederholenden Texte und einfachen Melodien, doch Mays Stimme ist so markant, das Ensemblespiel klingt so rau und unberührt, dass die Musik greifbar ist. Sie fällt durch ihre Einfachheit auf und lässt den Zuhörer ohne Anstrengungen abschalten.

Fernab jeglicher Alltagssorgen nimmt die kantereitsche Musik einen mit in den belanglosen Alltag, der auch durch Belangloses schwer fallen kann. Und was sollen die Anfang, Mitte 20-Jährigen auch singen. Sie wuchsen in einer guten Zeit auf. Es gab keine Studentenbewegung oder eine örtliche Katastrophe. Die Probleme der Zukunft stehen ihnen viel mehr noch bevor - und bevor die kommen, gibt es die eigenen oder der Rückzug aus Angst. 

Die Stücke der Band kommen natürlich gut an. Das gemischte Publikum im LKA horcht leise mit oder unterstützt laut die Songzeilen. Einige halten auch Nummernschilder zum Lied „21, 22, 23“ hoch oder werfen ein aufblasbares Krokodil zum Song „Das Krokodil“ auf die Bühne. Begeisterung. Fankult. Und May fragt schüchtern, ob er es behalten dürfte.

75 Minuten dauert die Show. Die Coverversion von Bobby Hebbs Evergreen "Sunny" wird mit Drumsolo und Bluessound zum Höhepunkt des Abends. Bei „Länger bleiben“ spielt das Gitarre-Bass-Schlagzeug-Trio und treibt sich gegenseitig voran. Dann noch „Barfuß am Klavier“ mit May am Keyboard und das Konzert findet allmählich sein Ende.

War das nun „alles nix Konkretes“? Viel wichtiger ist wohl die Frage, ob es etwas Konkretes sein muss. Immerhin funktioniert, was Annenmaykantereit machen - und das sehr gut.
 

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