Sherlock Holmes ist zusammen mit seinem Widersacher Professor Moriarty in den Reichenbachwasserfall gestürzt. Inspector Jones von Scotland Yard und der Pinkerton- Detektiv Chase finden heraus, dass Moriarty noch lebt und sich mit einem amerikanischen Gangster verbünden will.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Stuttgart - „Mir ist das Herz schwer, nun ich zum letzten Mal die Feder ansetze, um die außerordentlichen Gaben meines Freundes Sherlock Holmes zu beschreiben.“ Mit diesen Worten beginnt Dr. John Watson – alias Arthur Conan Doyle – die Geschichte „Das letzte Problem“, die bei ihrem Erscheinen 1893 den Fans des Meisterdetektivs den Atem raubte. Denn im Zweikampf mit seinem Erzfeind Professor James Moriarty stürzte Holmes schließlich in den Abgrund des Reichenbach-Wasserfalls. Was Winnetou-Leser im dritten Band um die edle Rothaut zu Tränen rührte, mussten Holmes-Fans an dieser Stelle erleben: Ihr Held war tot, auf weitere Geschichten durften sie nicht mehr hoffen.

 

Ein Holmes-Roman ohne Holmes im Titel

An dieser Stelle setzt Anthony Horowitz mit seinem zweiten Sherlock-Holmes-Roman an. Dabei erscheint der Name des nach wie vor äußerst beliebten Detektivs nicht einmal im Titel. Der seines Antipoden Professor Moriarty, den Holmes als Napoleon des Verbrechens bezeichnete, genügt jedoch, um Fans den Weg zu weisen. Dieser führt zuerst nach Meiringen in der Schweiz, wo Inspector Athelney Jones von Scotland Yard den Tod von Holmes untersucht.

Er trifft dort auf den Pinkerton-Agenten Frederick Chase, der einem amerikanischen Gangster auf der Spur ist. Jener Clarence Devereux sei im Begriff, sich mit Professor Moriarty und dessen Organisation zusammenzutun, argwöhnt Chase, der seinen Gegenspieler noch nie gesehen hat, obwohl er ihn seit Jahren jagt. Ein Phantom, so gerissen wie Moriarty, dessen Gesicht ebenfalls niemand kennt. Nicht einmal der Leser, dem er im Lauf der Geschichte aber immer näher kommt. Mehr soll hier aber nicht gesagt werden.

Soviel wird im Buch jedoch bereits verraten – was für Holmes-Kenner allerdings nichts Neues ist: Weder Schurke noch Held sind beim Sturz in den Wasserfall ums Leben gekommen. Conan Doyle ließ seine populäre Romanfigur bald wieder aufleben. Ob es nun am Protest der Leserschaft lag oder ob er selbst Sehnsucht nach dem soziopathischen Superhirn hatte, sei dahingestellt.

Eine Leiche im Keller von New Scotland Yard

Wie Holmes auf seine Umgebung wirkte, das lässt sich Anthony Horowitz mit Genuss auf der Zunge zergehen. Beim Besuch im neuen Hauptquartier Scotland Yards lässt er Inspector Lestrade, den Holmes immer dumm aussehen lässt, und einige seiner Kollegen ihre Meinung offen kundtun. Ganz einig sind sich die Polizisten nicht, wer schlimmer war: Holmes oder dessen Chronist Watson? „Ich war schon immer der Ansicht, dass die verzerrten Darstellungen dieses Schreiberlings uns sehr geschadet haben“, meint einer der Ermittler.

Dass beim Einzug im Keller von New Scotland Yard die Leiche einer ermordeten Frau gefunden wurde, kann als hämischer Seitenhieb des „Schreiberlings“ Horowitz auf die überhebliche Staatsmacht gewertet werden. Denn nun stehen die Polizisten vor einem unlösbaren Rätsel. „Finden Sie es nicht merkwürdig, Chase, dass die beste Polizeitruppe in Europa in einem Haus residiert, das Schauplatz eines unaufgeklärten Verbrechens ist?“

Doch nicht nur Scotland Yard hat Leichen im Keller. Im Verlauf der Handlung zeigt sich, dass mancher Schein trügt, den Horowitz dem Leser vorgaukelt. Und während sich die beiden Gangsterorganisationen an die Gurgel gehen – im Sinn des Wortes – kommt es zu verblüffenden Wendungen. Und ständig wartet man auf Holmes, dass dieser endlich auftaucht, das Heft an sich reißt und die Hintergründe des Falls klärt.

Tempo und Action ohne blutrünstige Details

Für die kommenden Sommerferien ist „Der Fall Moriarty“ auf jeden Fall ein Fall für die Kategorie Reiseschmöker. Flott geschrieben, vereint er die Atmosphäre der ursprünglichen Holmes-Geschichten aus dem 19. Jahrhundert mit dem Tempo zeitgenössischer Krimis. Und obwohl es manchmal blutig wird, vermeidet der bekennende Holmes-Fan Horowitz allzu explizite Details.

Nach „Das Geheimnis des weißen Bandes“ ist es der zweite Roman von Horowitz mit Figuren aus dem Sherlock-Holmes-Kosmos, der nicht zuletzt durch die BBC-Fernsehserie seit 2009 wieder in aller Munde ist. Horowitz ist der Serie an Ideenreichtum zumindest ebenbürtig. Man kann das in „Die drei Königinnen – Ein neuer Fall für Sherlock Holmes“ überprüden, das als Gratis-Leseprobe (eine Erzählung psu ein Schippelchen au eem „Moriarty“-Roman) als Insel-E-Book erschienen ist. Allen, die sich mehr für gedruckte Bücher begeistern, wird die gebundene Ausgabe von „Der Fall Moriarty“ gefallen. Der dunkelblaue Leineneinband mit dem markanten Schriftzug folgt konsequent der Aufmachung des ersten Horowitz-Holmes-Romans.

Anthony Horowitz: „Der Fall Moriarty“. Roman. Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff. Insel-Verlag, Berlin 2014. Gebundene Ausgabe, 341 Seiten, 19,95 Euro. Auch als E-Book, 16,99 Euro.