Im Stuttgarter Süden wird gerade an einer Anti-Stau-App getüftelt. Rosy soll sie heißen, Stau vorhersagen und alternative Routen vorschlagen. Wir haben mit den Entwicklern gesprochen.

Stuttgart - Nach einem langen Arbeitstag fluchend im Stau zu stehen, kann schon mal einen Feierabend vermiesen. Wie schön wäre es, wenn man rechtzeitig gewarnt würde, welche Strecken man besser vermeiden sollte. Der Umwelt und des persönlichen Wohlbefindens zuliebe. An genau so einer Lösung wird gerade im Stuttgarter Süden getüftelt. Matthias Brunner arbeitet seit einigen Monaten an der Entwicklung der Anti-Stau-App mit dem Namen Rosy. Diese soll Stau bis zu sieben Tage vorhersagen und alternative Routen (auch mit Bus und Bahn) vorschlagen. Wir haben mit dem App-Entwickler und seiner Kollegin Veronika Tomasu gesprochen.

 

Matthias Brunner, Sie sind eigentlich Physiker und nun App-Entwickler - wie passt das zusammen?

Matthias: Wenn es um das Beschreiben und Modellieren von komplexen Zusammenhängen geht, ist ein Physik-Studium ganz hilfreich. (lacht)

Und weshalb befassen Sie sich mit dem Thema Stau? Stecken Sie selbst zu oft im Stuttgarter Straßenverkehr fest?

Wir sind als Lieferservice gestartet und haben uns mit dem Vorsatz schnell und pünktlich zu liefern in den Stuttgarter Verkehr gestürzt. Wenn aber plötzlich und unerwartet alles steht und das Navi einen zuverlässig auch noch direkt in den nächsten Stau lotst, dann ist eine pünktliche Lieferung eine große Herausforderung, insbesondere, da sich die einzelnen Verspätungen addieren. Mit der Auftragsbündelung wollten wir den Verkehr entlasten und haben dann schnell gemerkt, dass für eine gute Pünktlichkeit auch eine zuverlässige Fahrtzeit-Prognose erforderlich ist.

Dann haben sie angefangen an Rosy zu arbeiten. Was bedeutet der Name eigentlich?

Veronika: Der Name setzt sich aus den Begriffen „routing“ und „easy“ zusammen. Rosy bedeutet also, mühelos und entspannt durch den Verkehr zu kommen. Mit der App möchten wir über die Anzeige alternativer Routen, Reisezeiten und Verkehrsmittel den Verkehr entzerren und somit Stau und seine negativen Auswirkungen reduzieren. Das sind doch rosige Aussichten für staugeplagte Autofahrer und die Umwelt, oder?

Seit wann arbeiten Sie daran und wann wird die App in Betrieb gehen?

Matthias: Von der ersten Idee bis zur kürzlich veröffentlichten Beta-Version ist ungefähr ein Jahr vergangen. Richtig starten konnten wir letzten August, als wir die erste Finanzierung geklärt und die Experten mit im Boot hatten. Derzeit testen wir die App im realen Betrieb. Dafür hatten sich bis Januar über 50 Stuttgarter gemeldet und es kommen immer mehr Interessenten dazu. Das Feedback der Beta-Tester sammeln wir, werten es aus und berücksichtigen es für die erste öffentliche Version. Die soll, wenn alles nach Plan verläuft, im April starten.

Wie finanziert sich das Projekt?

Matthias: In die Entwicklung der App habe ich zum einen eigenes Geld investiert, zum anderen konnte ich das EU-Förderprogramm frontierCities überzeugen. So haben wir nun den ersten Prototyp entwickeln, welchen wir jetzt bis April auf Basis der Testergebnisse optimieren. Die App ist kostenlos, da die Zahlungsbereitschaft für Apps eher gering ist. Wir möchten aber möglichst viele User gewinnen, damit die Anti-Stau-App einen spürbaren Effekt erzielt.

Eine Crowdfunding-Aktion ist nun der nächste Schritt.

Um weiter an Rosy zu arbeiten und weitere Funktionen umzusetzen, brauchen wir eine Anschlussfinanzierung. Crowdfunding ist hierbei eine tolle Möglichkeit. Unsere Zielsumme ist nicht sehr hoch und könnte durch viele kleine Beiträge schnell erreicht werden. Die Resonanz auf unsere Crowdfunding-Kampagne sehe ich auch als Test, ob es seitens der Autofahrer überhaupt ein wirkliches Interesse an einer besseren Verkehrsvorhersage gibt.

Auf dem Markt gibt es schon einige soclher Apps. Was ist bei Rosy anders?

Matthias: Im Vergleich zu anderen Verkehrs-Apps konzentrieren wir uns auf den Verkehrsschwerpunkt Innenstadt. Dafür greifen wir unter anderem auf historische und demnächst auch Echtzeit-Verkehrsdaten der Stadt Stuttgart zu und können so eine präzise Prognose liefern. Nach und nach möchten wir die Stauvorhersage durch weitere Daten verfeinern und somit besser und zuverlässiger als bisherige Anbieter werden. Über weitere Funktionen, wie den „Smart Alarm“, die derzeit in Planung sind und mit Hilfe von Crowdfunding umgesetzt werden sollen, möchten wir uns ebenfalls von anderen Apps abheben.

Ein großes Thema bei Apps ist der Datenschutz. Wie ist dieser bei Rosy gewährleistet?

Wir legen großen Wert auf Datenschutz. Wir erstellen keine Bewegungsprofile oder Ähnliches. Jeder kann die App ohne Angabe persönlicher Daten nutzen. Für eine bessere Prognose der App werden wir Nutzer bitten, ihre GPS-Daten für die Stau-Auswertung freizugeben. Das passiert aber auf freiwilliger Basis und ist keine Voraussetzung für die Nutzung.

Es gibt viele Faktoren, die zum Stau führen. Welche können Sie in ihren Berechnungen berücksichtigen?

Matthias: Es gibt einige Arten von Stau, zum Beispiel den Phantomstau aus dem Nichts, der oft auf Autobahnen entsteht, nur weil jemand mal abrupt gebremst hat und eine Kettenreaktion auslöst. Oft hat Stau aber auch Gründe und entsprechend viele Einflussfaktoren spielen eine Rolle. Zum einen natürlich Wochentag, Uhrzeit und ob Ferien oder Feiertage sind, da kennt jeder die Verkehrsspitzen. Dann kommen aber auch Baustellen und Veranstaltungen dazu. Darüber könnte man sich noch manuell informieren, das wäre aber schon aufwendig. Wenn zusätzlich das Wetter und die Unfallwahrscheinlichkeit sowie aktuelle Meldungen berücksichtigt werden, wird es schon sehr komplex. Da passiert es schnell, dass man unerwartet in Stau gerät, obwohl man gerade dringend zu einem Termin muss. Da soll Rosy helfen und zuverlässige Informationen liefern.

Sie möchten auch eine 7-Tage-Vorschau bieten. Ist das wirklich präzise möglich?

Matthias: Aus den historischen Verkehrsdaten lassen sich Regelmäßigkeiten ableiten, wie sich der Verkehr in bestimmten Situationen verhält. Daraus lassen sich theoretisch Prognosen für Monate im Voraus erstellen. Je weiter im Voraus man den Verkehr aber vorhersagt, desto riskanter wird es natürlich, dass etwas eintritt, was die Prognose verfälscht. Hier kommen die oben erwähnten Einflussfaktoren ins Spiel: Baustellen, Veranstaltungen, Wetter und so weiter. Diese kennt man eine bestimmte Zeit im Voraus, sodass man die Prognose entsprechend anpassen kann. Kommt dann spontan noch ein Bombenfund auf der S21-Baustelle hinzu, muss man die Prognose sogar nachträglich ändern und die User informieren. So weit ist Rosy noch nicht. Unsere Prognose ist derzeit schon gut, reagiert aber noch nicht auf Baustellen oder Ereignisse. Durch die Integration weiterer Daten soll sie mit der Zeit aber immer präziser werden.

Wie funktioniert Rosy konkret für mich als Nutzer?

Veronika: Der Nutzer gibt einfach ein, wo er hin möchte und wann er losfahren oder ankommen will. Die App berechnet dann zwei Routen: eine kürzere in blau und eine entspanntere in grün. Die grüne Route enthält gegebenenfalls einen kleinen Umweg, hat dafür aber eine geringe Stauwahrscheinlichkeit. Beide Routen werden zum Vergleich auch auf einer Karte angezeigt. Die gewünschte Route kann man dann in sein Navi exportieren. Der nächste Schritt wäre dann der Smart Alarm, der rechtzeitig und automatisch Stauwarnungen zu favorisierten Strecken schickt, sowie die Integration von VVS-Infos.

Die Nutzung von Öffentlichen Verkehrsmitteln spielt also auch eine Rolle (Stichwort Feinstaub-Alarm)?

Veronika: Ja, wir möchten auch den öffentlichen Verkehr einbinden. Dafür haben wir in Stuttgart den Zugang zu den Daten des VVS erhalten. Wenn die Fahrt mit den Öffentlichen auf der gewählten Strecke schneller ist, soll Rosy diese Information anzeigen. Denn wenn die Straßen voll sind, ist ein Umstieg auf Bus und Bahn die beste Möglichkeit „easy“ ans Ziel zu kommen und einen „Anti-Stau-Effekt“ zu erzielen.

Wen möchten Sie ansprechen?

Matthias: Die Zielgruppe der App sind natürlich alle, die mit dem Auto durch Stuttgart unterwegs sind, ob nun Pendler oder Gelegenheitsfahrer. Spontan fallen mir da insbesondere auch die Carsharing-Nutzer ein, da hier die Kosten der Fahrt ja direkt an die Fahrtzeit gekoppelt sind. Das Konzept, welches hinter der Anti-Stau-App steckt, dürfte aber besonders für die Städte selbst interessant sein. Viele Städte sammeln schon jetzt Verkehrsdaten. Diese Daten können wir so auswerten, dass sie nützlich werden. Wir können ein Verkehrsmodell erstellen, mithilfe dessen Verkehrssimulationen bei unterschiedlichen Szenarien plötzlich sehr einfach werden: Was passiert zum Beispiel, wenn man eine Straße sperrt oder ein Stadtgebiet evakuiert? Rosy sagt Verkehrsverhalten voraus. Die App soll zeigen, dass das funktioniert und sogar für jeden Einzelnen einen Nutzen haben kann.

Welchen Nutzen erhoffen Sie sich von der App?

Veronika: Rosy soll einen Nutzen für alle haben: Einerseits natürlich für die User, die mithilfe der App besser ans Ziel kommen und nicht in Stau geraten sollen. Das spart nicht nur Nerven, sondern reduziert auch den Spritverbrauch und Emissionen. Und dadurch nützt die App dann auch der Stadt und deren Einwohnern – Feinstaubalarm lässt grüßen – sowie der Umwelt. Wenn viele Autofahrer Rosy nutzen und alternative Routen, Reisezeiten oder Verkehrsmittel wählen, könnte sich auch der Stau insgesamt merklich reduzieren.

Hier geht's zur Crowdfunding-Campagne und hier zu noch mehr Infos.