Anton Hofreiter fordert ein Umsteuern bei der Deutschen Bahn. Ohne Verkehrswende kommt der Konzern nicht aus der Krise, sagt der Fraktionschef der Grünen. Die Bundesregierung dürfe die politische Verantwortung für die Bahn-Krise nicht auf den Konzern abschieben, sagt der Verkehrsexperte.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - In Berlin findet wieder ein politisches Krisentreffen wegen der Probleme bei der Bahn statt. Anton Hofreiter spricht von „Aktionismus“. Der Fraktionschef der Grünen fordert eine Modernisierung des veralteten Schiennetzes. Und: „Bahnfahren muss kinderleicht und günstig sein“.

 

Herr Hofreiter, Verkehrsminister Andreas Scheuer hat die Probleme der Deutschen Bahn AG zur Chefsache gemacht. Was bringen die Krisentreffen mit Konzernchef Richard Lutz und dessen Vize Ronald Pofalla?

Ich sehe bisher keine angemessenen Ergebnisse. Die Bundesregierung hätte sich längst viel stärker um den größten Staatskonzern kümmern müssen. Die DB-Krise gibt es nicht erst seit gestern, die zunehmenden Qualitäts- und Finanzprobleme sind seit Jahren offensichtlich für jeden, der hinschaut. Aber die wechselnden CSU-Verkehrsminister brauchen leider immer arg lang, bis sie die Realität erkennen.

Es soll immerhin wieder mehr Geld und ein effizienteres Management der täglich bis zu 800 Baustellen im Bahnnetz geben. Das ist doch schon mal was, oder?

Das ist bloßer Aktionismus, wie seit Jahren. Diese Art von Politik hilft nicht weiter: Minister Scheuer hat das Ausmaß der Krise scheinbar nicht verstanden. Was Minister Scheuer fehlt, ist ein verlässlicher Fahrplan hin zu Nachhaltigkeit und umweltschonendem Schienenverkehr.

Was heißt das konkret?

Union und SPD sind sich seit Jahren uneins über die Rolle, die die Deutsche Bahn in der Verkehrspolitik spielen soll. Das ist fatal. Die Regierung muss die Weichen für den Konzern stellen.

Angenommen, die Grünen kommen an die Macht und Sie würden Verkehrsminister. Was würden Sie ändern?

Wir brauchen ein grünes Mobilitätskonzept, bei dem der massive Ausbau des klimaschonenden Bahnverkehrs im Mittelpunkt steht. Konkret heißt das zum Beispiel: In allen Großstädten ab 100 000 Einwohner müssen wieder Fernzüge abfahren – und zwar nicht nur wenige Male am Tag. Der Deutschlandtakt mit bundesweit schnellen, pünktlichen und verlässlichen Anschlüssen muss so schnell wie möglich eingeführt werden. Im Güterverkehr muss viel mehr Fracht auf die Schiene und runter von der Straße, auch hier brauchen wir rasch mehr Kapazität, Angebote und Verlässlichkeit bei der DB.

Das klingt ja prima. Aber wie lange würde die Umsetzung dauern – und vor allem, was würde das kosten?

Klar, diese längst überfällige Verkehrswende braucht Zeit und Geld. Aber wichtig ist doch: Es wird sich auszahlen. Die Bahn und die Schienen-Infrastruktur sind enorm wichtige Standortfaktoren für Deutschland, die nicht länger politisch so vernachlässigt werden dürfen. Wir müssen vor allem das marode und veraltete Schienennetz mit Hochdruck modernisieren und ausbauen, und zwar streng nach den Bedürfnissen der Fahrgäste. Dafür muss der Bundesverkehrswegeplan rasch neu ausgerichtet werden. Statt für überteuerte Inselprojekte wie Stuttgart 21 muss das Steuergeld künftig strikt dort eingesetzt werden, wo es den größten Nutzen für besseren Bahnverkehr bringt.

Nur jeder zweite Deutsche nutzt die Bahn. Wie kann man das ändern?

Bahnfahren muss kinderleicht und günstig sein. An dieser Vorgabe muss die Verkehrspolitik ausgerichtet werden, aber auch das wichtigste Schienenunternehmen. Wir brauchen kein teures und kompliziertes Tarifsystem, sondern preisgünstige Fahrkarten für jede Strecke, die schnell und simpel zu buchen sind, online ebenso wie am Schalter. Die Bahnhöfe müssen wieder zu Visitenkarten jeder Kommune und zu Mobilitäts-Drehscheiben werden, mit abgestimmten Bahn- und Busfahrplänen, Leihrädern, Gastronomie und Geschäften.

Braucht auch die DB selbst Reformen?

Klar, da läuft vieles schief. Es gibt schwere operative Fehlentwicklungen, und das seit Jahren. Der Unterhalt des bundeseigenen Schienennetzes und der Zugflotten wurde lange Zeit sträflich vernachlässigt. Das rächt sich nun mit den vielen Verspätungen, Engpässen und Baustellen. Erste Kurskorrekturen der amtierenden DB-Spitze gehen in die richtige Richtung, reichen aber längst nicht aus.

Muss der Staatskonzern mit seinen 310 000 Beschäftigten weltweit neu aufgestellt werden?

Es braucht einen Neustart bei der Deutschen Bahn. Nötig ist insbesondere eine effizientere Organisation. Es muss Schluss sein mit der Zersplitterung der Bahn in mehr als 700 Unternehmen, die oft nur ihr eigenes Süppchen kochen – meist ohne den Blick fürs große Ganze. Wir brauchen eine starke DB Infrastruktur, die das bundeseigene Gleisnetz, die Bahnhöfe und Energieanlagen verwaltet, und eine DB Transport, die im Wettbewerb den Fern-, Regional- und Güterverkehr abwickelt.

Sollte man bei einer solchen zweiten Bahnreform die Infrastruktursparte wieder als renditeorientierte Aktiengesellschaft aufstellen?

Die Infrastruktursparte sollte viel stärker als bisher am Gemeinwohl orientiert werden, zum Beispiel als Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Transportsparte könnte als GmbH statt wie bisher als AG unterwegs sein. Auf jeden Fall braucht es mehr Transparenz, damit klar wird, wohin die hohen Milliardenzuschüsse an den Konzern wirklich fließen. Immerhin soll die Bahn allein für den Erhalt des Schienennetzes in den kommenden fünf Jahren mindestens weitere 25 Milliarden Euro erhalten.

Eine Privatisierung der Transportsparte wäre kein Thema?

Nein, das wäre in jedem Fall falsch. Der Schienenverkehr in Deutschland muss in staatlicher Hand bleiben. Anders sieht es bei den Auslandsgeschäften aus. Die britische Bus- und Bahntochter Arriva sollte zum richtigen Zeitpunkt verkauft und die Milliardeneinnahmen für eine bessere Bahn in Deutschland genutzt werden. Es ist nicht Aufgabe eines öffentlichen Unternehmens, Busse in anderen Ländern fahren zu lassen.

Bahnchef Lutz könnte seinen Posten verlieren, wenn es nicht rasche Besserung gibt. Hilft es, die DB Spitze auszutauschen?

Das glaube ich nicht. Auch der nächste Bahn-Chef scheitert, wenn die zuständige Bundesregierung keinen Plan hat, zu wenig Geld gibt und falsche Schwerpunkte setzt. Mein Eindruck ist, dass die Regierung ihre politische Verantwortung für die Bahn-Krise auf den Konzern abschieben will und jetzt dafür einen Sündenbock im Management sucht. Ich finde das ziemlich armselig, um nicht zu sagen schäbig.

Der Bahnchef ist also nicht das Problem?

Das Problem ist in erster Linie die fehlende Bahnexpertise und mangelnde Handlungsbereitschaft im Verkehrsministerium. Allerdings sind auch im DB-Vorstand mehr Fachleute nötig. Wenn ich höre, dass DB-Vize Ronald Pofalla nun als Krisenmanager aktiv werden soll, ist das kein gutes Zeichen. Dieser CDU-Mann war als Leiter des Kanzleramts unter Regierungschefin Merkel schließlich dafür verantwortlich, dass die Bahn das Riesen-Verlustobjekt Stuttgart 21 nicht einstellen durfte, das jetzt die Finanzprobleme massiv verschärft.

Dennoch wird Pofalla als nächster Bahn-Chef gehandelt. Ist das denkbar?

Bei der jetzigen Konstellation halte ich das nicht für ausgeschlossen. Aber die Bundesregierung sollte nicht für unnötige Personalfragen Zeit verschwenden, sondern vielmehr den Neustart der Bahn aufs Gleis setzen – damit Bahnfahren komfortabel, pünktlich und günstig wird.