Weil die großen Stars fehlen, steht der VfB-Verteidiger im deutschen Aufgebot für das Länderspiel gegen Polen. Schon bald will der 21-Jährige zum Stammgast werden.

Hamburg/Stuttgart – Es ist dann also doch noch einmal passiert. Ein letzter Ball flog in den Strafraum des VfB, Antonio Rüdiger hätte ihn weit wegköpfen können, das Spiel wäre vorbei gewesen. Doch sein Kopfball landete direkt vor den Füßen von Claudio Pizarro. Der Stürmer ließ sich nicht zweimal bitten und schloss trocken ab. Nichts war es mit dem versöhnlichen Punktgewinn zum Saisonabschluss beim FC Bayern. Während die Münchner hinterher die Meisterschaft feierten, schlurfte Rüdiger missmutig zum Mannschaftsbus.

 

Das erneute Gegentor in letzter Sekunde war der passende Abschluss einer verkorksten VfB-Saison – zur Entwicklung von Antonio Rüdiger jedoch passte es nicht. Der lange Abwehrspieler hatte nicht nur gegen die Bayern bis in die Nachspielzeit hinein gut verteidigt, er hatte in den vergangenen Wochen mit stabilen Leistungen einen wichtigen Beitrag geleistet, dass dem VfB der Abstieg erspart geblieben ist. Zur Belohnung steht der 21-Jährige erstmals im DFB-Aufgebot, wenn in Abwesenheit der meisten Stars in Hamburg ein B-Team am Dienstag auf Polen trifft (20.45 Uhr/ZDF).

Hansi Flick hat sich genau erkundigt

Beim letzten Heimspiel des VfB gegen den VfL Wolfsburg (1:2) war Hansi Flick, der Assistent des Bundestrainers Joachim Löw, nach Stuttgart gereist und hatte Rüdiger beobachtet. Flick informierte sich zudem bei den VfB-Verantwortlichen und holte die Einschätzung des U-21-Nationalcoaches Horst Hrubesch ein. Was Flick sah und hörte, das überzeugte ihn – jedenfalls wählte er vergangenen Mittwoch, dem Tag vor der Bekanntgabe des WM-Aufgebots, die Mobilnummer des Stuttgarter Innenverteidigers. Entgegen seiner Gewohnheit („Wenn ich eine Nummer nicht kenne, dann gehe ich nicht ran“) nahm Rüdiger ab – und war „überglücklich“, als ihn der DFB-Trainer von der Nominierung für das Polen-Spiel in Kenntnis setzte: „Ich bin topmotiviert und will unbedingt zeigen, was ich kann.“

Antonio Rüdiger weiß, dass es ein vorerst einmaliger Auftritt sein wird. Weil nicht nur die Nationalspieler aus Dortmund und München fehlen, die sich am Samstag im Pokalfinale gegenüberstehen, sondern auch die Legionäre aus England, Italien und Spanien, hat Joachim Löw für den ersten WM-Test eine ganze Reihe junger Perspektivspieler eingeladen. Das sei „kein Grund, den nationalen Fußballnotstand auszurufen“, sagt der Bundestrainer – vielmehr biete sich den jungen Spielern sogar die Chance, „möglicherweise noch auf den WM-Zug aufzuspringen“.

„Nächstes Jahr werde ich richtig angreifen“

Antonio Rüdiger wurde bereits darüber unterrichtet, dass seine Einladung nur für das Polen-Spiel gelte. Das sei „der erste Schritt“, sagt er und ist sicher, dass die nächsten bald folgen werden. In der nächsten Saison jedenfalls will er alles dafür tun, um zum Dauergast zu werden, das ist sein Ziel: „Nächstes Jahr werde ich richtig angreifen.“

Schon jetzt aber hat der in Berlin geborene Sohn einer Mutter aus Sierra Leone viel mehr erreicht, als ihm die meisten zugetraut hatten. In der Jugend war er bei diversen Berliner Clubs nicht zuletzt durch Disziplinlosigkeiten aufgefallen; im Nachwuchs von Borussia Dortmund wurde er ausgemustert.

Zwei Rote Karten stoppten den Aufstieg

Zwei törichte Rote Karten in dieser und der vergangenen Saison waren auch in Stuttgart der Beleg für sein teils überschäumendes Temperament. Sie stoppten seinen Aufstieg – aber nur vorübergehend. Inzwischen scheint es, als habe er die Lehren gezogen. Jedenfalls hat Rüdiger seither nicht mehr übers Ziel hinausgeschossen. Keine Frage: in den vergangenen Monaten hat er sich weiterentwickelt.

„Er ist ein ziemlich kompletter Spieler, er ist ein Gewinnertyp und bringt alles mit, was ein guter Verteidiger braucht“, sagt Horst Hrubesch, seit vielen Jahren sein großer Förderer in den Nachwuchsnationalteams. Jede Mannschaft benötige Spieler, die „nicht nur lieb und nett“ seien, sondern auch solche, „die Emotionen haben und auch mal neben der Spur laufen“. Spieler also wie Antonio Rüdiger. Horst Hrubesch sagt: „Jetzt hoffe ich, dass er auch gut damit umgehen kann, Nationalspieler zu sein.“