Angela Merkel stimmt mit der neuen EU-Kommission in vielen Punkten nicht überein. Bei ihrem Antrittsbesuch zeichnet die Kanzlerin trotzdem ein Bild großer Übereinstimmung.

Brüssel - Die zur Schau gestellte Harmonie, die auch am Mittwoch beim Besuch von Angela Merkel bei der neuen EU-Kommission zu bestaunen war, irritiert so manchen Unionspolitiker. Viele Europaabgeordnete von CDU und CSU haben zuletzt die neue wirtschaftspolitische Milde gegeißelt, die sich vor allem in einer flexibleren Auslegung des Stabilitätspakts und einer weiteren Fristverlängerung für Frankreich beim Schuldenabbau niederschlug. Auch die Mittlertätigkeit im Schuldenstreit mit Athen stieß nicht auf Gegenliebe. Kritik der Kanzlerin am Kurs von Kommissionschef Jean-Claude Juncker aber blieb aus. Auf Frankreich angesprochen sagte sie gar, sich nicht einmischen zu wollen. „Merkel“, so ein Parlamentarier, der anonym bleiben will, „will den Konflikt nicht auf offener Bühne austragen.“

 

Stattdessen wird gelobt. Merkel drückte ihre „Hochachtung vor der Geschwindigkeit“ aus, mit der Juncker seinen EU-Investitionsfonds aufs Gleis gesetzt hat. Sie begrüßte, dass die Handelskommissarin beim geplanten Abkommen mit den USA „in hohem Maße Transparenz“ eingeführt habe. Und zusammen mit Junckers Vize Federica Mogherini, der EU-Außenbeauftragten, wolle man weiter „im Gleichklang die Ukraine-Politik betreiben“. Schon am Montag, als sie Juncker in Berlin traf („Ich habe eine regelrechte Merkel-Woche.“), hatte die Kanzlerin auf die gemeinsame Agenda, die geringere Zahl von Gesetzesvorhaben der Brüsseler Behörde sowie die Rücknahme von 83 Gesetzesvorschlägen verwiesen: „Das erleichtert es uns, den Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge zu setzen“, meinte die Regierungschefin, die sich auch für Junckers Ideen zum digitalen Binnenmarkt und einer Energieunion bedankte.

Juncker zeichnet ein undogmatisches Bild von Berlin

Dass das Strittige außen vor bleibt, wird in der Bundesregierung mit Rücksichtnahme begründet. „In den Punkten Stabilitätspakt, Frankreich oder Griechenland öffentlich nachzuhaken hätte nur zu Riesenstreit und einem Gesichtsverlust Junckers geführt“, sagt ein EU-Diplomat. Zudem sehe man tatsächlich viele positive Veränderungen gegenüber der Kommission unter José Manuel Barroso: „Merkel ist bereit, dieser politischeren Kommission, die auch auf Stimmungen in der Bevölkerung eingeht, diese Eigenständigkeit zuzugestehen.“

Sie weiß, dass die neue wirtschaftspolitische Eigenständigkeit der Juncker-Kommission, die auch von den Sozialdemokraten im Europaparlament getragen wird, gut für das politische Klima in Europa ist. Nicht zuletzt, weil es immer mehr als deutsches Europa wahrgenommen worden ist. Vom liberalen Europapolitiker Guy Verhofstadt etwa stammt das Wort, Barroso habe vor jeder Initiative immer erst Merkel um Genehmigung gefragt. „Die deutsche Dominanz unter Barroso war fast erstickend“, sagt ein belgischer Regierungsvertreter, „es ist auch für Deutschland gut, wenn die Mitgliedstaaten mit Juncker nun sehen, dass auch Merkel einmal Kompromisse eingehen muss.“ Im Gegenzug zeichnet auch Juncker ein ganz undogmatisches Bild der Bundesregierung, etwa beim jüngsten Griechenland-Beschluss. „Es gab mehrere Länder, die viel strenger waren als die Deutschen“, sagte er – rechtzeitig vor Merkels Visite – der Zeitung „El País“.

Merkel: „Freundschaftliche Gespräche wie immer“

An einem Interessenausgleich ist auch dem deutschen Kommissar Günther Oettinger gelegen, der intern im Sinne Merkels Verbesserungen am Beschluss zum Pariser Defizit erreicht hat. Er verteidigt die jüngste Entscheidung dementsprechend: „Wir haben die Entscheidung zu Frankreich immerhin mit gewisser Konsequenz getroffen“, sagte Oettinger dieser Zeitung: „Die Kommission ist in der Balance durchaus auf dem richtigen Weg.“ Es gibt also gar keine Konflikte mit der Bundesregierung? „Konflikte nein, unterschiedliche Positionen ja – und wenn der Streitwert steigt, können auch die Unterschiede größer werden“, sagte Oettinger weiter, „aber die Arbeitsbeziehung ist voll intakt.“

Das zu betonen wurden Juncker und Merkel auch am Mittwoch nicht müde. Es sei ein „freundschaftliches Gespräch wie immer“ gewesen, sagte der Luxemburger; die Zeitungen, die „dauernd schwerste Konflikte ausmachen“, irrten. Merkel betonte, dass über den guten Draht zwischen Bundesregierung und Brüsseler Kommission nicht ständig geredet werden müsse. Das sei, „wie Eulen nach Athen zu tragen oder, wie es auf Englisch heißt, Kühlschränke zu den Eskimos“. Heiterkeit löste das auch deshalb aus, weil die Redewendung eigentlich auf einen geschickten Verkäufer gemünzt ist, der sogar Eskimos einen Kühlschrank andrehen könne. Und Merkel trauen die meisten Beobachter sehr wohl zu, Streit als Harmonie zu verkaufen.