Am Freitag rafft uns die Apokalypse der Maya dahin. Vor dem Ende aller Tage sollte man in Stuttgart deshalb noch mal den ganzen Wahnsinn dieser Stadt auskosten.

Stuttgart - Es ist uns völlig egal, dass die Wissenschaftsredaktion behauptet, die Mayas hätten schon immer ihre Kalender schlampig geführt. Wir sind uns sicher: Morgen bricht der letzte Tag der Menschheit an. Freitagabend 24 Uhr ist Schicht im Schacht. Das heißt: zum großen Finale sollten wir alle noch mal Fünfe gerade sein lassen. Und zwar von Freitagfrüh an um 0 Uhr. Die StZ lädt zu einem allerletzten Spaziergang durch die Stadt ein – selbstverständlich ohne Sinn und Verstand. Dafür mit dem Finanzbürgermeister Michael Föll, einem Papagei mit Saxofon, jeder Menge Zwetschgenkuchen und weiteren unverzichtbaren Höhepunkten.

 

0.01 Uhr Wenn schon Weltuntergang, dann richtig. Das Publikum im Aer Club sieht zwar immer so aus, als hätte es sich für den jüngsten Tag hübsch gemacht. Heute ist die Lage aber ernst. So ernst, dass wir eine Magnum-Flasche Schampus ordern. Diese Kreditkartenrechnung wird uns eh nie erreichen, also her mit der Puffbrause in Großfamiliengröße. Der DJ unterbricht sein Set, das Blubberwasser wird von Jünglingen in Römeruniformen hereingetragen, die Flasche hängt an einem Bambusrohr, verziert mit Wunderkerzen. Wieso denn auch geschmackvoll, wenn der Laden bald den Bach runtergeht? Wir prosten in die Runde und empfehlen uns.

1.39 Uhr Weiter an den Hans-im-Glück-Brunnen. Hier soll es ja vor illegalen Clubs nur so wimmeln. An der Bar im Transit/Bergamo treffen wir den Ordnungsbürgermeister Martin Schairer. „Herr Schairer, Sie hier? Wir müssen uns doch sehr wundern.“ – „Alles paletti“, beschwichtigt der Bürgermeister. „Ich wollte nur mal ganz persönlich nach dem Rechten sehen. Abgesehen von der Musik scheint der Laden doch ganz vernünftig. Aber die Mucke. Kein Wunder tanzt hier keiner. Mich juckt es aber heute derbe in der Sohle. Wo bitte geht’s denn hier zur Schräglage?“ Kein Problem, uns nach. Wir liefern den ausgehfreudigen Sicherheits-Bürgermeister in der Hip-Hop-Hölle ab und verabschieden uns Französisch, schließlich haben wir noch ein straffes Programm vor uns.

3.15 Uhr Nächster Menüpunkt auf dem Speiseplan: eine der rund 382 Spielhallen, die uns die Verwaltung in der Innenstadt großzügigerweise geschenkt hat. Im Café Las Vegas am Josef-Hirn-Platz scheint der Weltuntergang aber schon gewütet zu haben. Oder ist es hier immer so düster? Das Restgeld in den Automaten gesteckt, eine Weile sinnlos auf Knöpfe gedrückt. Irgendwie hatten wir uns die Chose lustiger vorgestellt. Auf einmal tauchen fünf Bananen auf dem Bildschirm auf, es regnet Münzen in das Geldfach. Wie ungeschickt: am letzten Tag auf Erden den Jackpot geknackt. Wir schenken den ganzen Zaster dem Kollegen am anderen Automaten, was sollen wir auch mit den Talern? Die sind am Tag der Maya-Apokalypse nur Ballast. Wir reisen heute mit leichtem Gepäck.

5.44 Uhr Weiter an die Eislaufbahn, die sanft im Mondlicht schimmert. Wir zapfen den geheimen Glühweintank unter dem Schlossplatz an. Pfui Spinne, hat das Zeug schon immer so gruselig geschmeckt? Egal, das Material muss weg, wird ja schließlich schlecht, wenn die Welt, diese Scheibe, aus den Fugen gerät. Wir basteln uns Kufen unter die Glühweinbecher und legen einen achtfachen Rittberger aufs Eis. Aus dem Dunkel taucht auf einmal Michael Föll auf und dreht verträumt und elegant seine Runden. Stimmt, der Erste Bürgermeister und Oberziegenbartträger ist ja ein begnadeter Eiskunstläufer und legt hier zum Frühsport immer seine Runden aufs Parkett, das hatten wir ganz verdrängt. Da wollen wir natürlich nicht stören.

9.30 Uhr Also schnell den Kleinen Schlossplatz hochgekraxelt und als erster Kunde in der Boutique Abseits eingekehrt. Unser Traum, bevor die Hörner von Jericho erklingen: Einmal wie ein Fußball-Profi einkaufen. Die Kicker kleiden sich nämlich hier äußerst stilvoll ein. Ah, herrlich, schön bunt mit jeder Menge fetziger Aufdrucke, Motive, Logos und Labels. Hups, kostet ja ein halbes Monatsgehalt. Na, ja, was soll’s, wer so schön wie Timo Gebhart sein will, muss leiden. Leider sehen wir auch nach dem Abseits-Shoppen nur aus wie Tim Wiese. Egal. So langsam haben wir Hunger.

10.12 Uhr Gestrandet im Café Scholz am Marktplatz. Frühstück draußen, zwei Grad, völlig wurscht, ist eh der letzte Tag vor dem Untergang. Bronchitis egal. Noch einmal schöne Menschen mit Breuninger-Tüten gucken, zum Beispiel den smarten Mr. Stuttgart, der dort drüben plaudert. Kurz die Augen zusammenkneifen: Ist das wirklich der Citymanager Hans H. Pfeifer oder doch der ehemalige Schumi-Manager Willi Weber? Irgendwo irres Gelächter, vermutlich der Weihnachtsmann.

11.52 Uhr Weiter geht es durch die Königstraße. Verdächtig ruhig hier, dafür, dass uns der Laden bald um die Ohren fliegt. Plötzlich Blockflötenklänge, die schließlich von Dudelmusik übertönt werden. Genau: es ist der Papagei mit seinem dressierten Saxofonspieler. Das ist die Gelegenheit, dem Kollegen die Meinung zu geigen: „Unter uns, Herr Straßenmusikant. Ihr Vogel ist eindeutig der bessere Performer. Selten einen solch musikalischen Sittich erlebt. Da kriegst du ja die Vollmeise!“

Das finale Feuerwerk

13 Uhr Jetzt hochfahren vom Kessel nach Möhringen, rein ins Pressehaus, Tür aufreißen. Dort: Mittagskonferenz der Lokalredaktion der Stuttgarter Zeitung. Sind also tatsächlich am letzten Tag der Menschheit heute arbeiten gegangen. Rauf auf den Konferenztisch, mit den Fäusten gegen die Brust trommeln. Affenlaute, Schreitherapie. Komisch, dass sich keiner von den Kollegen über den Auftritt wundert.

13.41 Uhr Große Erleichterung. Ist immer noch viel Zeit übrig vor der Apokalypse, also raus aus dem Pressehaus, eine Stadtbahnstation später wieder aussteigen: SI-Centrum Möhringen. Dort ein Treffen mit einem Architekten, der einem erzählt, wie er die Architektur und die Inneneinrichtung findet. Darüber dann den letzten Text des Lebens schreiben, 150 Zeilen ohne Musicalschminke. Gutes Gefühl.

15.30 Uhr Zurück in die Zivilisation: Mit der S-Bahn bis zur Haltestelle Feuersee, irgendwo in einer Bäckerei ein Lommel-Brötchen besorgen und dann ans Ufer des Sees, Blick auf die Johanneskirche, es fehlt noch eine gute Tat am letzten Tag. Das Brötchen wird an die Enten verteilt, großes Gedränge, unappetitliche Verteilungskämpfe, kolossales Geschnatter. Trotzdem ein berauschender Moment: endlich steht man uneingeschränkt im Mittelpunkt!

16.16 Uhr Vom Feuersee sind es zu Fuß nur ein paar Minuten bis ins Paradies. Das Paradies befindet sich im Stuttgarter Westen in der Johannesstraße, es heißt Café Stöckle, es ist das beste Oma-Café der Stadt. Noch einmal an der Kuchentheke für den Zwetschgenkuchen anstehen. Dauert eine halbe Ewigkeit, klar, aber das muss jetzt sein vor der Maya-Apokalypse. Lustgewinn in Tortenform. Wie viel darf es sein? Eins, zwei, besser drei – egal: Kalorien sind einerlei.

18.07 Uhr Völlegefühl. Hoch ins Theaterhaus am Pragsattel, die Welt darf nicht untergehen, ohne dass man den großartigen Eric Gauthier mit seiner Kompanie noch einmal hat tanzen sehen. Der Kuchen liegt tonnenschwer im Magen, während Gauthier federleicht über der Bühne schwebt. Das ist getanzte Poesie, angereichert mit Humor. So schön geht die Welt zu Grunde.

20 Uhr Vom Theaterhaus ist es ein Katzensprung rüber zum Polizeipräsidium. Größenwahn: der Polizeipräsident wird festgesetzt, handstreichartig übernimmt man selbst das Ruder. Erster Einsatzbefehl: alle Straßen der Stadt werden von Playmobil-Polizisten für den Autoverkehr abgeriegelt. Zu Fuß geht es „Hoch auf dem gelben Wagen“ pfeifend die Heilbronner Straße hinab in die City.

22.22 Uhr Einmal verrückt, richtig verrückt. Runter zum Bahnhof, Wutbürger gucken, ist aber keiner mehr da. Bei der Bahn dafür märchenhafte Zustände: Mitarbeiter spinnen am legendären Gleis Neun Dreiviertel Stroh zu Gold. Irres Gelächter. Doch nicht der Weihnachtsmann, nur Volker Kefer. Höchste Zeit für Aktionskunst vor dem Bahnhof, es fahren ja keine Autos mehr: Kräftiges Aufstampfen mit dem Fuß unter Aufsagen von Reimen. Gestatten: Rumpelstilzchen, Wutbürger Nummer eins.

23.57 Uhr Ein letztes Mal hinaus zu den Bärenseen: Flasche in der einen, Rakete in der anderen Hand. Ein wenig Hänsel- und-Gretel-Gefühl, irgendwo könnte eine böse Hexe zwischen den Bäumen lauern, sind dann aber nur Jogger mit auf und nieder tanzenden Stirnlampen. Nun nur noch wenige Minuten bis Mitternacht, die Apokalypse ist verdammt spät dran, gleich muss es aber so weit sein. Feuerzeug an die Lunte, die Rakete steigt auf und schreibt einen Satz in den Nachthimmel: „Leben geht weiter!“