Der 19-jährige Leiharbeiter Marvin Puchmeier kam bei einem tragischen Unfall in der Schleyerhalle ums Leben. Nun wird am Arbeitsgericht verhandelt.

Stuttgart - Der Fall des im Februar 2017 durch einen tragischen Unfall bei Abbauarbeiten in der Schleyerhalle getöteten 19-jährigen Marvin Puchmeier hat am Donnerstag die Arbeitsrichterin Susanne Schräjahr-Nüßle zu einer ungewöhnlichen Verhandlungseröffnung veranlasst. Es gelte eine „ganz tragische Geschichte zu verhandeln, die uns allen hier sehr, sehr leid tut“, betonte sie in ihrer Einleitung an die Adresse des Vaters Ralf Puchmeier auf der Klägerseite. Die emotionale Einleitung war mit Bedacht gewählt: So verständlich Trauer und Wut angesichts des sinnlosen Todes des Abiturienten erscheinen, der sich nur ein paar Euro nebenbei verdienen wollte, müssen sie doch für eine rechtliche Bewertung ausgeblendet werden.

 

Puchmeier sieht „bedingten Vorsatz“ bei Firmen

Im Verlauf des Gütetermins ist deutlich geworden, dass es Puchmeier schwer fallen dürfte, in einer späteren Hauptverhandlung die nötigen Anspruchsgrundlagen zu liefern, um den an der Tragödie direkt und indirekt beteiligten Firmen einen bedingten Vorsatz nachzuweisen. Nur dann könnten aber deren Vertreter unmittelbar haftbar gemacht werden. Dafür hätten der Konzertveranstalter SKS Russ, Marvins Arbeitgeber Mad Music und der des Unfallverursachers Benjamin B., die Gierss Veranstaltungstechnik, den Sturz des unterm Hallendach arbeitenden Mannes auf Marvin Puchmeier für möglich erachten und billigend in Kauf nehmen müssen. Ein fahrlässiges Verhalten wäre schlimm genug; in diesem Fall würde aber noch die gesetzliche Unfallversicherung einspringen.

Richterin Schräjahr-Nüssle würde die Ansprüche begründenden Vorwürfe Puchmeiers aber gar nicht bewerten müssen, wären die Unternehmen bereit, die sich um benachteiligte Jugendliche kümmernde Marvin-Puchmeier-Stiftung mit einem namhaften Betrag zu unterstützen. Die Firmenanwälte haben vor Gericht die Betroffenheit der Unternehmensverantwortlichen über den Unfalltod des Abiturienten hervorgehoben und auch deren Bereitschaft zu einer außergerichtlichen Einigung in Aussicht gestellt. Ralf Puchmeier darf unterstellt werden, eine solche Reaktion erhofft zu haben, nachdem er vor der Verhandlung vergeblich darauf gewartet hatte. Er wolle, dass sein Sohn nicht vergessen werde, dafür sorge die von ihm gegründete Stiftung. Die Streitparteien werden jetzt ihre Vorschläge austauschen.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen SKS Russ

Womöglich erhält Puchmeier beides: Geld und eine rechtliche Würdigung des Verhaltens der Unternehmen vor Ort. Die Staatsanwaltschaft hat bekanntlich Ermittlungen aufgenommen, nachdem im Prozess gegen den Rigger – so heißen die Spezialisten für Arbeiten in der Höhe – Hinweise auftauchten, die Abbauarbeiten nach dem Konzert könnten mangelhaft organisiert gewesen sein. Übereinander zu arbeiten ist streng verboten. Ein Vertreter der Berufsgenossenschaft hatte darauf hingewiesen, dass kein Koordinator für die Gefahreneinschätzung bestimmt gewesen sei.

Der 28-jährige Kletterer, der sich beim Sturz einen Milzriss und Rippenbrüche zugezogen hatte, wies im Prozess vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt, das ihn zu sechs Monate Haft auf Bewährung verurteilte, zudem auf eine mangelnde Schutzeinrichtung hin und monierte die fehlende Einweisung. Er war wegen „fahrlässiger Tötung“ belangt worden – vorsätzlich abgestürzt zu sein, erschien dem Amtsrichter verständlicherweise abwegig.

Wurde Marvins Unterschrift gefälscht?

Ralf Puchmeier ist als Nebenkläger dennoch in Berufung gegangen. Er will die Umstände vom Landgericht geklärt wissen. Sein Sohn sei nicht ordentlich eingewiesen worden, behauptet er und unterstellt SKS Russ sogar, den Namen seines Sohnes nachträglich auf ein Einweisungsprotokoll gesetzt und dessen Unterschrift gefälscht zu haben. Diesen Vorwurf hat die Firma aber als haltlos zurückgewiesen.