Die Sozialdemokratin Sanna Marin spricht sich als neue finnische Regierungschefin für eine 24-Stunden-Arbeitswoche aus. Die 34-Jährige ist selbst Mutter einer Tochter und setzt sich für Gleichberechtigung ein.

Helsinki - Die Ernennung der 34 Jahre alten Sozialdemokratin Sanna Marin zur jüngsten Regierungschefin weltweit kommt einer Zäsur in Finnland gleich, dessen Machtelite lange von Alt-Herren-Cliquen dominiert war. Sowohl in der Wirtschaft  wie in der Politik verpassten jene Machtklüngel es, das Land nach einem bilderbuchhaften Erfolgskurs  der mit dem Aufstieg und Fall von Nokia einherging an neue Herausforderungen anzupassen.  Nun bekommen junge Frauen die Möglichkeit, ihr in den vergangenen Jahren konjunkturell und strukturell angeknackstes Land wieder ganz nach vorne zu bringen.  

 

Marin will eine zeitgemäße Arbeitswelt

Sanna Marin, die linke Sozialdemokratin mit dem jugendlichen Image, strebt viele Reformen an, ein großer Bereich davon ist die Veränderung der Arbeitswelt. Die Regierungschefin fordert die 24-Stunden-Arbeitswoche. Marin, die in einer Regenbogenfamilie mit zwei Müttern aufgewachsen ist und schon seit ihrem Studium in der Politik aktiv ist, hat eine einjährige Tochter und postet Bilder ihres Privatlebens auf Instagram. Sie ist in ihrer Familie die erste die studierte: Verwaltungswissenschaften.  Ihr Ehemann sagte jetzt, er werde sich vor allem um die kleine Tochter Emma kümmern.  Immer wieder betont Sanna Marin, dass sie sich für Gleichberechtigung einsetzen will auch wenn sie wieder jene Frage nach ihrem Alter beantworten muss. „Ich werde darauf wie schon zuvor antworten“, sagte sie kurz nach ihrer Wahl zur designierten Ministerpräsidentin durch ihre Partei sichtlich verärgert einem Journalisten. „Ich habe ehrlich gesagt nie über mein Alter oder mein Geschlecht nachgedacht“, betonte sie. Es gehe ihr um Sachfragen.

„Die Menschen verdienen es, mit ihren Familien mehr Zeit zu verbringen“

Der „Helsinki Times“ sagte Sanna Marin: Eine vier-Tage-Woche, ein sechs-Stunden-Arbeitstag, warum sollte das nicht der nächste Schritt sein können?“ Sie ergänzte, man müsse sich fragen, ob wirklich acht Stunden Arbeitszeit am Tag die einzig gute Lösung seien, und: „Ich glaube, die Menschen verdienen es, mit ihren Familien, ihren Lieben und ihren Hobbys und anderem mehr Zeit zu verbringen. Das könnte in unserem Arbeitsleben der nächste Schritt sein.“

Studien zeigen: kürzere Arbeitszeiten sind sinnvoller

Studien zeigen schon lange, dass Mitarbeiter, die einen kürzeren Arbeitstag haben, sogar produktiver arbeiten, und dass die Zeit, die ein Mitarbeiter produktiv ist, auf nur wenige Stunden eingegrenzt werden kann. Auch hierzulande setzt sich beispielsweise seit Jahren die Soziologin Jutta Allmendinger für neue Arbeitszeitmodelle ein, und Millennials diskutieren über die Work-Life-Balance.

Finnland, dass unter seinen nordischen Nachbarn stets als Schlusslicht in Sachen Emanzipation, Fortschrittlichkeit und wirtschaftlichem Erfolg angesehen wurde, ist nun auf dem besten Weg in die Zukunft. Auch die anderen ausschließlich weiblichen Vorsitzenden der Koalitionsparteien, sind ähnlich jung wir Marin: Da ist ist die erst 32-jährige Chefin der Linkspartei Li Anderson, deren Vater Jan-Erik ein bekannter Performance-Künstler der schwedischen Minderheit im Land ist.  Sie führt das Bildungsministerium an. Auch die Chefin der großen bürgerlichen Zentrumspartei, Katri Kulmuni, aus dem ländlichen nordfinnischen Lappland, bisher Vizeministerpräsidentin und Chefin des Wirtschaftsministeriums ist erst 32. Die Vorsitzende der Grünen,  Maria Ohisalo, 34, wird das Innenministerium weiterleiten. Die Politikwissenschaftlerin war zuvor Expertin für Armutsforschung und Obdachlosigkeit. Die letzte in dem Fünferbund ist Justizministerin und Chefin der Schwedischen Volkspartei Anna-Maja Henriksson (55). Zusammen sind die erste Koalitionsregierung in der EU die nur von Frauen geführt wird.   

Frauen in Spitzenpositionen auch in der Wirtschaft

Auch im staatlichen Sektor und der Wirtschaft Finnlands tut sich einiges. Ohne eine Frauenquote lösen inzwischen immer mehr junge Frauen die in Rente gehenden männlichen Chefs aus der Babyboomer-Generation ab. Auffällig ist, dass sie alle in den achtzigern geboren sind, die finnische Generation der in den siebziger Jahren geborenen Frauen ist in den Chefetagen eher nicht an diesem Aufbruch beteiligt. Viele junge Frauen sind nun Chefs von neuen Start-Up-Firmen, die Finnland dringend braucht, um Nokia und auch die niedergehenden Papierexport mittelfristig in der Wertschöpfungskapazität des Landes ersetzen sollen. Finnland führte übrigens einst schon 1906 das Frauenwahlrecht ein – als erstes Land Europas.