Der ARD-Film "Sie hat's verdient" zeigt auf düstere Weise das gewaltbestimmte Leben eines Mädchens. Dabei bleibt Platz für Interpretationen.

Stuttgart - Im Krimi ist in der Regel am Anfang der Mord und am Ende die Auflösung. "Sie hat es verdient" aber ist kein Krimi. Anfang und Ende hat der Film auch nicht, weil Thomas Stiller (Buch und Regie) die Geschichte mutwillig in lauter Bruchstücke zerschlagen hat. Ständig wechselt die Handlung die Zeitebenen. Trotzdem setzt sich schließlich ein Bild zusammen - aber nur im Kopf des Zuschauers. Mit dieser Erzählweise will Stiller verhindern, dass dem Betrachter die genretypische Kausalität aufgezwungen wird. Hier ist nicht die Welt am Ende wieder in Ordnung, weil der Mörder überführt ist, seine Motive klar sind. In der Welt dieses Films kann es keine Ordnung geben, weil die Tat das Leben aller Beteiligten für immer zerstört hat.

 

Trotzdem ist das Verstörendste an diesem Film nicht die dramaturgische Konstruktion, sondern die Eiseskälte der jugendlichen Täterin: Linda, Tochter aus sogenanntem gutem Hause, ist eine Hauptfigur, wie es sie in Fernsehproduktionen nur ganz selten gibt; sie raucht, nimmt Drogen, lebt ihre sexuellen Bedürfnisse offensiv aus. Vor allem aber ist sie ist eine durch und durch negative junge Frau, die derart viel Hass ausstrahlt, dass sich viele Zuschauer mit Grausen abwenden werden.

Nicht überzeugend

Die Darstellerin der Linda, Liv Lisa Fries, lebt, agiert diese Aura regelrecht aus. Zudem lebt die Rolle von plakativen Widersprüchen: Ihren behinderten kleinen Bruder liebt die hasserfüllte Linda sehr, und ihre von Kraftausdrücken durchsetzte Redeweise bildet einen heftigen Kontrast zu ihrer attraktiven Erscheinung. Aber sie redet nicht nur, sie handelt auch: Als die etwas naive Mitschülerin Susanne (Saskia Schindler) Lindas Freund Josch (FranÛois Goeske) zu ihrer Geburtstagsparty einlädt und ein wenig mit ihm flirtet, beschließt Linda, Susanne eine Abreibung zu verpassen. Unter einem Vorwand lockt Josch das Mädchen auf einen Speicher. Dort entlädt sich Lindas ganze Wut in einer Serie von Tritten, an deren Folgen Susanne schließlich stirbt.

Gegenentwurf zur 16-jährigen Mörderin ist die Mutter des Opfers: Nora Wagner (Veronica Ferres) will wissen, warum ihre Tochter sterben musste. Sie besucht Linda im Gefängnis, doch der einzige Grund für die Untat, den sie erfährt, ist Lindas Aussage, die Stiller zum Filmtitel gemacht hat: "Sie hat's verdient." Die Leistung von Liv Lisa Fries ist auch deshalb bemerkenswert, weil sie die Kälte, die Linda ausstrahlt, so überzeugend verkörpert; die etablierten Schauspieler wirken dagegen unglaubwürdig, wenn sie extreme Gefühlsmomente ausdrücken - bis auf Jule Ronstedt in der Rolle von Lindas Mutter: Sie ist das erwachsene Pendant zur Tochter, sie hat sich nur besser unter Kontrolle.

Einheitliche Linie mit kalten und abweisenden Bildern

Von der überforderten Frau geht eine Härte aus, in der möglicherweise die Erklärung für das Verhalten des Mädchens liegt. Aber der Film bleibt seiner Linie treu. Auch, dass Linda offenbar regelmäßig vom stoisch wirkenden Vater (Oliver Mommsen) missbraucht wird, erwähnt Stiller ganz beiläufig.

Auch als Regisseur macht Stiller ("Zwölf Winter") es seinem Publikum nicht leicht: Die Handkamera (Marc Liesendahl) ist ständig ganz nah an den Figuren, die Bildgestaltung bewusst unruhig. Nur wenige Erzählebenen sind in warmem Licht gehalten, meistens sind die Bilder kühl und abweisend. Die Schnittfrequenz verstärkt das allgemeine Unbehagen noch, weshalb man sich fragt, wie sich die aggressive Atmosphäre wohl auf junge Zuschauer auswirken könnte; von der Grausamkeit der Tat ganz zu schweigen. Ein Film, der den Zuschauer fordert und sich üblichen Sehgewohnheiten konsequent verweigert.

ARD, 20.15 Uhr