Wer Arbeitslosengeld II bezieht, muss mit 416 Euro im Monat auskommen. Doch die finanziellen Sorgen sind nicht das einzige Problem, wie ein Betroffener erzählt.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Schorndorf - Helmut Voss würde gerne mal wieder zum Friseur gehen. Aber die 23 Euro dafür reißen ein empfindliches Loch in sein knappes Budget: Voss, Mitte Fünfzig, lebt von Hartz IV. „Jede Ausgabe muss ich mir genau überlegen“, sagt der Mann, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er schämt sich für seine Situation, deshalb möchte er anonym bleiben.

 

33 Jahre lang hat er als Handwerker gearbeitet, war ein halbes Jahr arbeitslos, hat wieder einen Job gefunden. Dann bekam er gesundheitliche Probleme – erst der Rücken, später die Lunge und irgendwann waren seine Chefs der Meinung, dass er der Arbeit nicht mehr gewachsen sei. Seit 2015 bezieht er deshalb Hartz IV. „Wenn ich könnte, würde ich gerne arbeiten“, sagt Voss. Doch in seiner Situation eine Stelle zu finden sei quasi unmöglich. Die Beraterin bei der Arbeitsagentur habe ihm jüngst gesagt, er sei in der Rente besser aufgehoben.

„Du bist faul“ – ein weit verbreitetes Vorurteil

Die Sozialarbeiterin Claudia Schwab betreut Helmut Voss. „Die meisten Arbeitslosen wollen arbeiten. Diejenigen, die das System missbrauchen, sind nur sehr wenige“, sagt sie. Doch die reichten aus, um alle Hartz-IV-Empfänger in Verruf zu bringen.

Selbst Voss’ ehemalige Lebensgefährtin warf ihm vor, er sei faul. „Dabei habe ich ihr jahrelang alles Mögliche finanziert. Letztlich hat sie mich nur ausgenutzt“, erzählt er. Als die Beziehung in die Brüche ging, setzte sie ihn vor die Tür. So stand er vergangenes Jahr plötzlich auf der Straße, wohnte einige Monate in einer Obdachlosenunterkunft. „In dem Zimmer hatte es Schimmel, da fiel mir das Atmen mit meiner kranken Lunge noch schwerer. Ich war heilfroh, dass ich da rausgekommen bin“, sagt er. Über das Projekt „Coming Home“ der Erlacher Höhe gelangte er an eine kleine Wohnung in Schorndorf.

Ein paar Quadratmeter, ein einfaches Bett, ein Schrank, zwei Stühle, ein Couchtisch, eine kleine Küchenzeile. Den Großteil des Tages verbringt Helmut Voss hier. Denn für ein Busticket, einen Kaffee oder gar einen Kinobesuch reicht das Geld nicht aus, wenn man mit 416 Euro im Monat auskommen muss. „Kleidung habe ich mir seit Mitte vergangenen Jahres nicht mehr gekauft, dabei bräuchte ich mal wieder neue Socken“, sagt Voss. „Es gab Zeiten, da habe ich eine Woche lang nichts gegessen, weil mir das Geld ausgegangen ist.“ Wenn er im Discounter einkaufen geht, sieht er häufig Dinge, die er gerne hätte. „Aber das geht halt nicht“ – ein Satz, den Helmut Voss oft sagt. Gedanken an irgendetwas, das ihm Spaß macht, habe er schon lange aufgegeben. Unvorhersehbare Ausgaben sind ein Problem – geht etwas kaputt, muss er in Ratenzahlung gehen. „Aber lieber kaufe ich nix, bevor ich Schulden mache.“

Über das eigene Leben entscheiden andere

Claudia Schwab ist der Meinung, dass die Regelsätze erhöht werden müssten, damit Hartz-IV-Empfänger in Würde leben können. Doch die Geldnot sei nicht das einzige Problem. Hinzu komme das Stigma, das mit Arbeitslosigkeit verbunden ist. „Niemand hat das Recht, jemanden zu verurteilen, der in so einer Lage ist“, sagt Schwab. Menschen, die den steigenden Anforderungen einer auf Leistung ausgelegten Gesellschaft psychisch oder physisch nicht mehr gewachsen sind, ernten allerdings wenig Verständnis.

„Ich gehe ungern raus, weil ich das Gefühl habe, dass mir die Leute ansehen, dass ich Hartz-IV-Empfänger bin“, sagt Voss. Kontakt zu Freunden oder Verwandten hat er nicht mehr. „Ich bin ganz allein“, sagt er, den Tränen nahe. Niemals habe er gedacht, dass ihm so etwas passieren könnte.

Arm zu sein in einem reichen Land bedeutet nicht nur einen Verlust an Teilhabe, sondern auch an Selbstbestimmtheit. „Ich kann nur von Tag zu Tag warten, wie andere über mich entscheiden“, sagt Voss. Wird ihm Geld gekürzt, wenn er Leistungen aus seiner Lebensversicherung erhält? Oft fühlt er sich wie ein Bittsteller, wenn er zum Amt geht, und manchmal wird er auch so behandelt. „Sie haben ein Recht auf die Leistungen“, stellt Claudia Schwab klar. Doch sie weiß, dass von Selbstwert und Würde unter Hartz IV nicht viel übrig bleibt. Es fehle an Perspektiven. Hoffnung? „Die habe ich schon lange aufgegeben“, sagt Helmut Voss.