Katarina Witt war die im Westen beliebteste Sportlerin der DDR. Die Eiskunstläuferin war die Vorzeigeathletin des Systems. In der Arte-Doku „Katarina Witt“ erzählt sie so schlüssig wie nie zuvor, wie sich das anfühlte.

Stuttgart - Der Osten ist hässlich, finster und plump. Zumindest mit dieser grimmigen Einschätzung konnte man sich im Kalten Krieg im Westen trösten, wenn der Ostblock bei Sportereignissen mal wieder groß absahnte. Die Athleten, die da auf Siegertreppchen stiegen, waren zwar nicht alle unnatürlich vierschrötige Dopingmonster, aber es waren eben auch keine an die PR-Maschine gewöhnten Stars wie manche Westsportler. Aber dann kam der Kati-Witt-Schock.

 

Disney-Prinzessin aus dem Mauerstaat

Katarina Witt war eine Disney-Prinzessin, nur energischer, strahlender, charmanter. 1984 holte sie in Sarajevo die Goldmedaille, als Mischung aus hochtrainierter Kampfmaschine, eleganter Tänzerin und entwaffnend fröhlicher Ruhmgenießerin. Sie war genau das, was sich jede Werbeagentur als Herzeigesportlerin für den freien Westen ausgedacht hatte – aber die so frei, zufrieden und zukunftssicher wirkende Witt trat ausgerechnet für den knastgrauen Mauerstaat DDR an.

Nie zuvor hatten die SED-Oberen eine so propere Ein-Frau-Charme-und-Leistungs-Offensive zu bieten gehabt, und sie ließen sich gern mit ihr fotografieren. Die 1965 in Falkensee Geborene bekam dafür Chancen, Freiheiten und Möglichkeiten, die für andere DDR-Bürger undenkbar waren. Nach der Wende machte Witt einen zweite Riesenkarriere in den USA als Star einer Eisrevue, aber zu Hause hinterließ sie auch viel böses Blut. Ehemalige Regimeopfer nahmen ihr übel, dass sie zum Unrecht von einst meist schwieg. Und auch wohlwollende Mitgliedern der einst unterdrückten Bürgerrechtsbewegung stehen bis heute die Haare zu Berge, wenn Witt mal wieder scheinbar unbedacht davon plaudert, dass man auch in der DDR Spaß haben konnte. Mancher glaubt, die einst am schärfsten geschliffene Kufe des Sozialismus sei im Herzen eine Regimefreundin geblieben.

Hinter dem Profilächeln

Jobst Knigges Dokumentation „Katarina Witt – Weltstar aus der DDR“ korrigiert dieses Bild. Eben weil Knigge Witt nicht scharf angeht, ihr nicht zusetzt, ihre Erklärungen und Zurechtrückungen nicht ständig zerpflückt und hinterfragt, verschanzt sich Witt nicht hinter ihrem alten panzersperrenharten Profilächeln der Marke „Ich bin zufrieden mit mir, das reicht mir“. So reflektiert wie hier hat man sie selten erlebt, und auch wenn sie das ein oder andere vielleicht immer noch ein wenig blauäugig sieht: Ihre Innensicht ihres Lebens und des Systems drum herum ergibt Sinn.

Witt erzählt von sich als Jungtalent, das zwar in eine harte Ausbildung geschubst wird, aber die Möglichkeit genießt, zu glänzen und zu überflügeln: die Idealsportlerin also. Wie sie da in der Eishalle steht und auf jene kalte weiße Fläche schaut, die einst den Großteil ihres Lebens fasste, wird auch klar: Wer sowieso den Großteil des Tages trainieren und auch den Rest seines Lebens auf den Sport ausrichten muss, dem kann ziemlich egal sein, wie die Welt jenseits des Trainingszentrums aussieht. Sie ist eh kaum erreichbar.

Irre Hoffnung der Hierarchen

Es klingt nicht nach Ausflucht oder falscher Entschuldigung, wenn Katarina Witt von der Dankbarkeit spricht, die sie als Teenager und junge Frau für einen Staat empfunden habe, der ihr die Möglichkeiten geboten habe, das Beste aus sich zu machen. Witt dominierte jahrelang den Eiskunstlauf, auch in den USA wurde sie angestaunt. Wenn dann umgekehrt der Ex-DDR-Hierarch Egon Krenz vor Knigges Kamera gerührt über Witt spricht, dann ahnt man: Diese Frau wurde nicht nur nach außen und innen als Propagandainstrument eingesetzt. Sie verkörperte für einige Führungskader wohl die irre Hoffnung, ihr auf Lügen gebauter, Jahr um Jahr tiefer in die Pleite schlitternder Staat könnte tatsächlich eines Tages eine leistungsfähige, leistungswillige, den Westen freien Herzens überflügelnde Gemeinschaft werden.

„Katarina Witt – Weltstar aus der DDR“ lässt einen nicht nur sehr viel besser verstehen, warum die auf dem Eis so Stilsichere sich abseits der Eisfläche manchmal so ungeschickt präsentiert hat. Eingeklemmt zwischen Loyalitätsgefühlen, Showbiz-Erwartungen und der gedrillten Hochleistungsnotwendigkeit, Zweifel und Ablenkungen gar nicht zuzulassen, sondern stier auf ein Ziel zu schauen. Dies ist auch, ganz unaufdringlich, ein interessantes Lehrstück über die Ära des Kalten Krieges und das Ende der DDR.

Ausstrahlung: arte, Mittwoch, 23. September, um 22.15 Uhr, in der Mediathek verfügbar bis 29. September