Damit der Lebensraum für Tausende von bedrohten Tierarten erhalten bleibt, werden alte Eichen gehegt, indem jüngere Bäume um sie herum abgeholzt werden.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Als diese Eiche vor etwa 250 Jahren noch jung und voller Saft und Kraft war, stand sie gut sichtbar in einer Weide- oder Parklandschaft. Auch nur wenige Meter über dem Boden bildete sie erste kräftige Äste aus, im vollen Laubkleid müsste sie ein kugelrundes Aussehen gehabt haben. Ein idealer Schattenspender für Hirten, Weidetiere und Jäger war sie damals.

 

Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Nur noch der Name Rotwildpark erinnert daran, dass hier mal ein Park war. De facto ist das heute ein Wald. Und die einst stolze Eiche ist heute ein großer windschiefer Greis, für Laien mehr ein Tot- denn ein Lebendgehölz. Und dennoch ist gerade dieser Koloss sehr wichtig für den Wald und für das Leben im Wald. Er ist gar so wichtig, dass etliche viele jüngere Bäume um ihn herum abgeholzt werden, die unter wirtschaftlichen Aspekten gesehen in einigen Jahren gutes Geld gebracht hätten in die Kassen von ForstBW, dem landeseigenen Forstunternehmen.

Der Juchtenkäfer als Symboltier der Stuttgart-21-Gegner

Was diesen Baum so wichtig macht: Da drinnen lebt der Juchtenkäfer. Der war mal sehr populär, als Zehntausende gegen den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 demonstrierten. Der Juchtenkäfer war das Symboltier, dessen Existenz im Schlossgarten einst das Fällen von zahlreichen Bäumen dort verhindern sollte. Doch wer von den vielen Demonstrierenden hat jemals einen Juchtenkäfer gesehen? „Einen lebenden Juchtenkäfer anzutreffen ist wie ein Sechser im Lotto“, weiß Gerhard Pfeifer, Geschäftsführer der Regionalstelle Stuttgart vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Doch nur, weil man ihn eher nicht zu Gesicht bekommt, heißt das noch lange nicht, dass es ihn gar nicht gibt. Der Juchtenkäfer ist halt ein Zeitgenosse, der hohe Ansprüche an sein Lebensumfeld stellt, meist eine große Baumhöhle. Und wenn er die mal gefunden hat, ist er damit so zufrieden, dass er seine Höhle kaum noch verlässt. Deshalb wird er auch Eremit genannt, und deshalb bekommt man ihn kaum zu sehen.

Vögel, Käfer und Fledermäuse

Viel wichtiger als die bloße Existenz des Juchtenkäfers im Rotwildpark ist aber, dass dort, wo er sich wohlfühlt, sich auch Hunderte von anderen Tierarten wohl fühlen, die auf den Wald als Lebensraum angewiesen sind. Betrachtet man noch die Kleinstlebewesen, sind es Tausende von Arten, die auf so einen Lebensraum angewiesen sind. Pfeifer nennt einige Beispiele: „Das sind Vogelarten wie Halsbandschnäpper, Mittel- oder Grauspecht, oder die Bechstein- wie die Mopsfledermaus. Und da gibt es Großkäferarten wie Hirschkäfer und Großer Goldkäfer.“ Und all diese hier genannten Arten sind in ihrer Existenz bedroht. Pfeifer: „Sie sind alle nach nationalem und nach EU-Recht streng geschützt und stehen auf der Roten Liste. Alte Eichen sind im Vergleich zu anderen Baumarten daher ein Hotspot der Biodiversität.“

Die Eiche ist eine Arche

Die windschiefe Eiche ist also ein Lebensgarant, eine Arche gewissermaßen. Götz Graf von Bülow ist der Leiter des Forstbezirks Schönbuch von ForstBW, damit unter anderem zuständig für den Rotwildpark. Er betrachtet den Methusalem als Fachmann: „Irgendwann wurde das Weideland nicht mehr benötigt, so ist dann allmählich ein Wald entstanden. Und viele andere Bäume um die Eiche herum sind schnell und zielstrebig gewachsen, haben so dem Baum die Helligkeit genommen, die eine Eiche nun mal benötigt“. Die Folge ist, dass die Eiche jene Äste abwirft, die nicht mehr genügend Licht bekommen, um so ihr Überleben zu sichern. Und so sieht man heute gut, dass erst viele Meter über dem Boden ein erster größerer Ast kommt, der freilich auch eher verkrüppelt aussieht als vital. Und an anderen Stellen, wo mal Äste waren, sind Löcher. Eben jene Höhlen, in denen sich Juchtenkäfer und Co. heute wohl fühlen.

Bülow: „Dieser Baum ist sehr wichtig für die Artenvielfalt im Wald. Wir haben ihn frei gestellt, indem wir andere Bäume um ihn herum gefällt haben, in der Hoffnung, dass er sich wieder gut erholt. Der Erhalt dieses Baums hat Vorrang vor holzwirtschaftlichen Aspekten“. Ob der sich aber nun erholt und wie lange er diese wichtige Funktion für viele Waldtiere wahrnehmen kann, das kann auch Bülow nicht einschätzen. Hier kommt die Bezirksförsterin Kathrin Klein ins Spiel. Sie kartografiert die Bäume in ihrem Revier und ordnet sie nach verschiedenen Gesichtspunkten. Hier sind es Bäume, die ähnliche Eigenschaften haben wie die Eiche. Nur etwa hundert Meter weiter von ihr ist solch einer. Auch hier haben die Forstleute schon viel drumherum abgeholzt. „Da wir ja nicht wissen, wie lange die alte Eiche ihre Funktion zum Schutz der Artenvielfalt erfüllen kann, müssen wir natürlich auch über einen Ersatz nachdenken“, so Klein, „und der darf natürlich nicht zu weit weg sein.“

Waldarbeit für die kommenden Generationen

Wiederum einige hundert Meter weiter ist ein Gebiet mit jungen Bäumen. Hier dominieren Birken und anderes Gehölz, die Stämme haben einen Umfang von wenigen Zentimetern. Auch hier arbeiten die Forst-Azubis mit der Motorsäge. Sie machen das Umfeld frei für einen Baum, der sich in seinem schlanken Wuchs eigentlich noch gar nicht sonderlich unterscheidet von denen in seiner unmittelbaren Umgebung. Er ist jetzt schon ausgewählt dafür, dass er sich einmal so prächtig entwickeln möge wie einst die alte Eiche, als der Rotwildpark noch wirklich ein Park war. Das ist wiederum ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sehr Waldarbeit auch Arbeit für die kommenden Generationen ist.