Der Grünschnitt Anfang 2019 an den Gäubahnböschungen im Dachswald wirkte radikal. Doch die Maßnahme diente dem Artenschutz. Und sie hatte Erfolg.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Dachswald - Die sonnigen Böschungen entlang der Bahntrasse im Dachswald sehen zunächst unscheinbar aus. Doch hier liegt eines der letzten Vorkommen des seltenen Vielblütigen Backenklees in Baden-Württemberg. In Stuttgart sind es die einzigen Flächen, auf denen die Pflanze zu finden ist. Grund genug, das Backenkleevorkommen zu schützen. In den vergangenen Jahren allerdings breiteten sich Büsche und Gehölze auf den Flächen aus und drohten, den Backenklee zu verdrängen. Das Amt für Umweltschutz hat die Gäubahnböschungen deswegen in sein Artenschutzkonzept aufgenommen und gemeinsam mit dem Garten-, Friedhofs- und Forstamt Anfang 2019 damit begonnen, die ungewollten Gewächse zu entfernen, damit die seltene Pflanze mehr Raum hat.

 

Die Gäubahnböschungen sind als „Top-E-Flächen“ vom Umweltamt priorisiert worden. Sie haben eine hohe Relevanz für den Naturschutz. Das E steht für Effizienz. Auf den Flächen ist mit relativ wenig Aufwand eine hohe qualitative Aufwertung für das Biotop möglich, erklärt Amtsleiter Hans-Wolf Zirkwitz: „Minimaler Einsatz, maximaler Erfolg.“ Ein Blick auf den Dachswald belegt das. Die kleinen weißen Blüten des Backenklees sind derzeit an vielen Stellen in den Wiesen zu finden.

Neben den Gäubahnböschungen sind weitere 19 Areale in Stuttgart als Top-E-Flächen im Artenschutzkonzept verankert, auf den Fildern zum Beispiel der Probstsee in Möhringen und die Kressart-Streuobstwiese in Sonnenberg. Und das Umweltamt arbeitet an der Fortsetzung des Konzepts. „Uns ist wichtig, zielgerichtet und flächendeckend Artenschutz zu betreiben“, sagt Amtsleiter Zirkwitz.

Es gab schon eine ganz besondere Tiersichtung

Der Schnitt im Dachswald wirkte zunächst radikal und erntete Kritik von Seiten der Anwohner, auch, weil einige Bäume gefällt worden sind. „Das ist ein Reizthema in Stuttgart“, sagt Renate Kübler von der Abteilung Umweltberatung und Naturschutz im Umweltamt. Und Zirkwitz ergänzt: „So ein Kahlschlag sieht am Anfang schon extrem aus.“ Allerdings gebe es im Stadtgebiet genug Bäume. „Dagegen fehlt es uns an Magerwiesen“, erklärt Kübler. Deswegen wurden ungewollte Gewächse im Dachswald entfernt.

Die Maßnahme fruchtet: Nicht nur der Backenklee, sondern auch andere schützenswerte Gräser und Pflanzen haben nun Platz, sich an den Gäubahnböschungen auszubreiten, wie der Weidenblättrige Alant oder die Kriechende Hauhechel, erklärt Kirsten Kockelke vom Umweltamt, die sich mit der Betreuung der Artenschutzflächen befasst. Mit den blühenden Pflanzen kommen die Insekten. Schmetterlinge wie das Schachbrett oder das Ochsenauge flattern über die Wiese, ebenso Bläulinge. Und: „Ein aktuelles Monitoring hat ergeben, dass auf den Flächen sechs bedrohte Wildbienenarten vorkommen“, sagt Kockelke. Auch verschiedene Heuschrecken und die seltene Weiße Turmschnecke fühlen sich auf der Magerwiese wohl. „Und wir haben eine bestätigte Sichtung einer Schlingnatter, das ist schon etwas besonderes“, sagt Kübler.

Das Umweltamt ist mit dem Ergebnis, das die Pflege gebracht hat, zufrieden. „Wir brauchen solche Flächen, um dem Artensterben entgegenzuwirken“, sagt Kübler. Mit einem einmaligen Grünschnitt allerdings ist es nicht getan: Zwischen den gewünschten Pflanzen wuchern unter anderem Hartriegel- und Brombeergewächse. Da man diese an den Böschungen nicht haben möchte, sind regelmäßige Pflegearbeiten notwendig. Das Garten-, Friedhofs- und Forstamt ist mit der Aufgabe betraut.

Bürger beteiligen sich am Schutz des Biotops

Die Stadt will die Bürger in den Artenschutz einbinden. Im Dachswald schauen Anwohner immer wieder nach den Böschungen und sammeln zum Beispiel Müll ein. Die Bürgerinfo steigere das Verständnis und die Akzeptanz für die auf den ersten Blick oft drastischen Veränderungen, sagt Kübler.

In Leinfelden gab es jüngst ebenfalls Kritik an Pflegemaßnahmen. Anwohner bemängelten, dass der Bahndamm im Ortszentrum nach dem Grünschnitt kahl und braun daher komme und fragten, ob denn das Ausmaß nötig gewesen sei. Zudem haben schwere Fahrzeuge tiefe Spurrillen in der Böschung hinterlassen. Torsten Specht vom Amt für Umwelt, Grünflächen und Tiefbau erklärt dazu, dass eine beauftragte Firma die Wiese zweimal im Jahr mähe, teilweise von Hand, teilweise maschinell. Die Maßnahme sei nicht größer ausgefallen als in den Jahren zuvor. „Die Böschungen vollständig in Handarbeit abzumähen, ist aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nicht möglich“, sagt Specht. Die Spurrillen seien vermutlich durch die feuchte Witterung während der Arbeiten entstanden und würden sich bald wieder verwachsen. „Einen positiven ökologischen Nebeneffekt haben die Fahrspuren allerdings doch, da ein offener Boden Voraussetzung dafür ist, dass sich Wildkräuter ansiedeln können“, sagt Specht. Und auch die Anwohner bestätigen, dass die Fläche inzwischen – zumindest teilweise – wieder ansehnlicher sei.